A FILETTA :
Chronologische Orientierungspunkte

Letzte Aktualisierung der Seite : 3. März, 2011

MV
Crédit photo : MV création

Zwei wichtige Dokumente über die Strecke A Filettas: Zunächst wird die außergewöhnliche Dokumentarfilm "Trent'anni pocu, trent'anni assai" im Jahr 2008 für France 3 von Cathy Rocchi. Dieser Film wurde in der DVD von Harmonia Mundi erschienen.

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Und auch mein Buch, "A Filetta, Tradition et ouverture - De la polyphonie corse au chant du monde "im Jahr 2009 bei Editions Colonna veröffentlicht.

"Ùn ti scorda di a filetta": Vergiss das Farn nicht!

Dieser korsischer Ausdruck, der weit in der Zeit zurückreicht, symbolisiert die Verbundenheit der Korsen mit ihrem Land. Es ist daher kein Zufall, dass im Jahr 1978, zur Zeit des "riacquistu" , eine Gruppe von Freunden, auf Initiative von Michel Frassati, eine kulturelle Gruppe benannt "A Filetta" ("Das Farn") gründete, einem Symbol für Verwurzelung und Widerstandsfähigkeit.

Jean Claude Acquaviva und Jean Sicurani sind von Beginn an dabei. Wie der Name der Gruppe es erwarten ließ, war das angestrebte Ziel die Bewahrung der mündlichen Überlieferung. Sehr bald  jedoch erkennt die junge Gruppe die Notwendigkeit, Tradition und Neuschöpfungen zu vereinbaren. Sie beteiligt sich bald (1982) an der Wiedereinführung der "Passion" in Calenzana, an der zahlreiche Verbände der Balagne, insbesondere die Bruderschaften von Calvi, Calenzana und andere, teilnahmen.

Innerhalb der ersten vier Alben: Machja n'avemu un’altra (1981), O vita (1982), Cun tè (1984) und  l’Abbriu di e stagione (1987), entwickelt sich nach und nach der Stil von A Filetta mit spezifischen Rhythmen und Texten von großer Poesie (Mare, Cun tè, O Vita).

Gleichzeitig leistet die Gruppe, die auf kulturellem Gebiet sehr präsent ist, Forschungsarbeit in der traditionellen Polyphonie, in der Balagne, aber auch anderswo. Durch diesen Ansatz entsteht 1989

A u visu di tanti, wo man traditionelle kirchliche Polyphonien, wie O Salutaris (u Mucale), Requiem (Rusiu) oder profane (Paghjella di Tagliu) hört - in Verbindung mit sehr unterschiedlichen musikalischen Ideen der Vergangenheit wie Anima, wo die Gruppe klassische Instrumente wie Cetera, die Pivana oder Percussion verwendt.

Bei dieser Platte vollzieht die Gruppe eine erste Richtungsänderung mit einer polyphonen Neuschöpfung (U Lamentu di Ghjesù), die sich sehr gut in die Gesangstradition der Insel einfügt. (Dieses Lied, das intensive Emotionen auslöst, gehört im Jahre 2005 immer noch zum Repertoire der Gruppe.) In dieser Zeit ist es vor allem der Kontakt mit den Bruderschaften, der sich im Schreiben von sakralen polyphonen Liedern auswirkt.

1989 erklomm A Filetta eine neue Stufe, indem sie sich an der Organisation der Polyphonietreffen in Calvi beteiligten."Das ist ein zweiter Wendepunkt, ein Bewußtwerden, in Richtung einer Offenheit zu gehen, wobei wir unsere Eigenart bewahren. Und das ist auch deshalb erforderlich, weil in der Musik nichts erstarrt ist," erklärt Jean-Claude Acquaviva. Fünfzehn Jahre lang bereichert sich die Gruppe durch den Austausch mit anderen Traditionen, wie denen Griechenlands, Albaniens, Sardiniens und vor allem Georgiens." Der Austausch mit den Georgiernist sehr intensiv verlaufen. Gleich als sie begannen zu singen, hatte man den Eindruck, daß sie uns ein Bild von uns selbst widerspiegeln; das war ziemlich überraschend.Man fand an ihnen die gleichen Gesten wieder, die gleiche Art, sich in das Lied hineinzufinden. Tatsächlich haben sie hinsichtlich des Obertons eine Musik, die unserer sehr nahe ist. Aus diesem Grund haben wir uns darangemacht, georgische Lieder zu singen, und sie sind zwei Jahre später zurückgekommen mit unseren Liedern. Man hätte wirklich gesagt, es seien korsische Sänger.(...) Diese Treffen stellten unseren Gesang wieder in seine Matrize: beim Hören der Liedern von Kaukasiern, Albaniern, Kabylen, Türken, Syriern, hörten wir einen Teil von uns selbst singen. (...) Wir haben nächtelang gemeinsam mit den Mongolen und den Inuit gesungen, ohne ein einziges Wort auszutauschen."

1992 kam Ab Eternu heraus, das sich fast vollständig den liturgischen Liedern widmet (Totenmesse, Karwoche), mit Ausnahme von  Sumiglia, komponiert zur Erinnerung an Ghjuvan Battista Acquaviva. 

1994 erschien das Album Una Tarra ci hè. Dieses Album ist das der Reife, mit gelungenen polyphonen Kreationen (A Paghjella di l'Impiccati, U Lamentu di Maria), wie auch mit Instrumenten. Alle Stücke sind von großer Qualität.
Parallel dazu hatte U Svegliu Calvese beschlossen, die Tradition der Karwoche in der Balagne wieder aufleben zu lassen, und A Filetta setzten sich 1993 von neuem ein, um diese Veranstaltung wiederaufzunehmen, an die Schritte anknüpfend, die man zehn Jahre zuvor unternommen hatte. "Es geht für uns darum, der Passion ein menschlicheres Gesicht zu geben: die Geschichte eines Menschen, vor der des Gottessohnes."    

Passione, erschienen 1997, ist ein ausschließlich den Passionsliedern gewidmetes Album, sowohl traditionnelle, als auch Kompositionen der Gruppe. Die sorgfältige Architektur der Stimmen, die feurige Lyrik und die erstaunliche Interpretation fegen alle Vorurteile weg, um für nichts anderes Platz zu lassen, als für die Universalität der Kunst. In diesem Album sind besonders U Sipolcru und A Sintenza bemerkenswert, zwei Kompositionen von Jean-Claude, Ghmerto, ein emblematisches georgisches Lied, sowie in einer neuen Version, dramatischer als die erste, U Lamentu di Ghjesu. 1998 setzte der neapolitanische Regisseur Orlando Forioso La Passion in Szene. Diese Nachstellung der letzten Tage des Lebens Christus in korsischer Sprache wurde in der Zitadelle von Calvi von 30 ehrenamtlichen Schauspielern gespielt, begleitet von A Filetta. Diese Aufführung wurde im folgenden Jahr am 3., 4. und 5. April 1999 wiederholt. Die Passion inspiriert gleichermaßen den Via Crucis, der am 30. und 31. März 2002 in der Zitadelle präsentiert wurde. Der Kreuzweg, versehen mit Texten aus der modernen Literatur (Borgès, Primo Levi, Filippini), wurde von Orlando Foriosoinszeniert und, Anfang Februar 2003 wiederholt speziell für FR3, Gegenstand einer Fernsehausstrahlung an Ostern desselben Jahres. 

Medea

A Filetta erreicht einen neuen, wichtigen Punkt: an einem Abend im August  1995 trifft die Gruppe anläßlich eines Konzerts im Oratorium St. Antoine von Calvi den jungen Regisseur Jean-Yves Lazennec. Die Idee einer Zusammenarbeit wird geboren, und einige Monate später nimmt ein Projekt Gestalt an, einen antiken Text zu inszenieren: Medea von Seneca. Die musikalische Gestaltung wird der Gruppe anvertraut, die den lateinischen Text ins Korsische übersetzt. Am 12., 13. und 14. November 1997 präsentiert A Filetta die Chöre von Medea im Theater von Bastia. Jean-Yves Lazennec wird später sagen: "A Filetta bietet etwas Unerhörtes, ganz und gar Neues und fast Unklassifizierbares, das wirklich nichts anderem ähnelt, das sie zuvor wie danach in Angriff genommen haben. Eine Spannung bewegt zwischen dem Nahen und dem Fernen, im Dienst der schrecklichen Geschichte einer abgestürzten Liebe und der Ablehnung des Fremden, wo die Kreation des Künstlers mit Erstaunen die Gegenwart erhellt."

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Crédit photo : Jean-Marie Colonna
Diese Kreation, die ihre Quelle in der mündlichen Überlieferung der Insel nimmt, erinnert auch an andere orale Traditionen des Mittelmeerraums. Im Laufe der Konzerte feilt die Gruppe diese Kreation aus, verfeinert sie, dehnt sie aus. Wenn man auch schon Auszüge auf Intantu hören kann, die vollständigen Chöre von Medea erscheinen erst auf CD im Juni 2006.

Bruno Coulais

Im Theater ist ein gewisser Bruno Coulais, Komponist von Filmmusiken, höchst überrascht (er sagt später von dieser Komposition für sieben Stimmen: "das ist ein UFO") und wünscht die Gruppe zu treffen, die er schon in Lama gehört hatte. Er erklärt in dem von Arte gesendeten und auf DVD herausgebrachten Film von Don Kent: "Nichts war aufgeschrieben. Jean-Claude hatte wahrscheinlich alles im Kopf, und das ist ziemlich Schwindel erregend, wo doch die traditionelle Musik mündlich weitergegeben wird. Ein Werk nur im Kopf zu erschaffen, ohne es zu Papier zu bringen und jede Zeile jedem Musiker vorzusingen, und es erfolgreich zu Ende zu bringen, das ist wirklich beeindruckend."

Durch diese Begegnung entstand zunächst, während dem folgenden Januar, die Filmmusik zu Don Juan von Jacques Weber, komponiert von Bruno Coulais auf einen Text von Marcellu Acquaviva und gesungen von der Gruppe und mehrere Stücke von der Mezzo-Sopranistin Marie Kobayashi. Das ist eine neue Wende für die Gruppe, deren Bekanntheit schon zugenommen hat, jetzt die Grenzen zu überschreiten, um international zu werden. "Wir haben uns abgerackert, das war eine Partitur für sechs Stimmen und man musste Note für Note auf dem Piano suchen. Wir verfügten über 20 Tage, um acht Lieder zu entwickeln, aber wir haben auch viel gelacht, besonders bei den Probetreffen bei Tao in Calvi", erinnern sich die Mitglieder der Gruppe (Gespräch mit Bernadette Spagnoli für Corse hebdo). "Bruno ist Risiken eingegangen, aber er hat uns sofort vertraut", fügt José hinzu. Und drei Tage vor der Aufnahme war alles fertig entwickelt.

Lassen wir Bruno Coulais sprechen (auf Traxzone www.musiquedefilm.com)):
"Das Treffen mit der Gruppe A Filetta war für mich ein Schock. Nicht nur ein musikalischer Schock, sondern auch ein menschlicher: sie haben eine unglaubliche emotionale Kraft. Zuvor hatte ich viel mit lyrischen Stimmen gearbeitet, besonders mit Marie Kobayashi bei Microcosmos und in anderen Filmen. Aber ich habe die Arbeit mit den natürlichen Stimmen entdeckt, diese Stimmen, die aus großer Ferne zu kommen scheinen und gleichzeitig derartig zeitgenössisch sind. Die Naturstimme ist etwas, das nicht aus der Mode kommt, das ein Gefühl von Zeitlosigkeit gibt.



Ich handelte total unüberlegt bei Don Juan. Damals lasen die Sänger von A Filetta die Musik nicht ab - sie haben seitdem viele Fortschritte gemacht. Ich habe ihnen eine sechsstimmige Partitur geschickt, sehr rhythmisch,  während die korsische Musik keinen metrisch definierten Rhythmus hat; sie ist frei. Sie haben drei bis vier Wochen an dieser Partitur gearbeitet, sich etwas verheddert, dann bin ich angekommen und wir haben die rhythmischen Sachen sehr schnell hinbekommen, weil die Leute, die aus dem Traditionellen kommen die geborenen Musiker sind. Zum Beispiel in der Gruppe Jean-Luc Géromini in der Gruppe ist ein hochbegabter Musiker. Es genügt, dass man einen Satz mit hohem Tempo spielt, er erinnert sich daran! Er hat einen beeindruckenden Sinn für Rhythmik. Die Menschen, die über das Gehör arbeiten, das ist unglaubliches Glück: man hat den Eindruck, dass ihre Interpretation besser wird im Laufe der Zeit. Je mehr man vorankommt, umso bewegender ist es."  

Zwischen 1997 und 2002 beteiligen sich A Filetta an etwa zehn FilmmusikenDon Juan, Himalaya l'enfance d'un chef, Le peuple migrateur, Comme un aimant, Le libertin, Serial lover, Scènes de crimes, Harrison's flowers, Vidocq) und unternehmen einige Tourneen rund um den Globus. Der größte Erfolg, die Musik zu Himalaya (César, Victoire de la musique und goldene Schallplatte) wird bei dem Treffen in Calvi 1999 (ohne Musiker) präsentiert und 2000 eine vollständige Version mit Orchester bei "Printemps de Bourges" und am 11. September 2000 im Stadttheater von Bastia, im Rahmen der XII. Rencontres Polyphoniques von Calvi.

Die Zusammenarbeit mit Bruno Coulais setzt sich fort am 22.Juni 2001 mit der Kreation von " Toit du Monde" im Rahmen des Festivals von Saint-Denis.

Die Öffnung für andere Musiken geschah laut den Mitgliedern der Gruppe "selbstverständlich". "Unser Gesang will sich öffnen. Uns in Richtung der Anderen zu wenden ist eine Notwendigkeit. Teilen, sich bereichern an anderen Kulturen, ist essentiell. Die Welt ist vollständig vermischt, Korsika kann nicht auf seine Grenzen beschränkt bleiben, es entwickelt sich kulturell und musikalisch weiter", sagt Jean-Claude.

A Filetta arbeiten auch mit Philippe Léotard (besonders bei einem herzzerreißenden « Complainte corse ») und Gabriel Yacoub (Jean-Claude Acquaviva hat immer seine Bewunderung für die Gruppe Malicorne geäußert).

leotard
yacoub

Erfahrungen, auch Begegnungen: eine Polyphonie für neun Stimmen komponiert von Bruno Coulais und gesungen mit der Gruppe Soledonna, das Salve Regina komponiert von Jean-Claude Acquaviva auf Texte von Anton Francescu Filippini (größtenteils Auszüge aus Flumen Dei); mit Anghjula Dea, U Fiatu Muntese, L'Alba und Aghja Rossa. Ein Treffen auch mit der israelischen Sängerin Noa bei den Musicales de Bastia im Oktober 2000 ...

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A Filetta mit Noa - Photo G. Baldocchi
2002 kommt « Intantu » heraus. Darauf findet man eine paghjella, zwei Auszüge der Chöre von Medea, ein georgisches Lied (Makharia), zwei kirchliche Werke (Sub tuum und Kyrie), drei Auszüge der Filmmusik von Bruno Coulais für Don Juan, ein satirisches Lied (Cose viste), eine Neuaufnahme von L’Anniversariu di Minetta von Tavagna, eine Monodie (Lamentu di a malata) gesungen von Jean-Luc und schließlich zwei Neuaufnahmen: A Paghjella di l’Impiccati, das auf Una Tarra Ci Hè vorkommt (ohne die erste Version mit Instrumenten auf O Vita zu zählen...) und Sumiglia von Ab Eternu.

Diese Platte klingt wie ein Sampler der musikalischen Identität und des Repertoires der Gruppe in diesem Jahr 2002 und spiegelt getreu das Programm der Konzerte wieder, zumindest die Atmosphäre. Mehr als jemals zuvor stellen hier die sechs Männerstimmen von A Filetta eine Nachbarschaft zwischen Profanem und Kirchlichem, Einfachheit und Virtuosität, Tradition und Neuschöpfung her.

2003 erscheint « Si di mè ». Realisiert von Bruno Coulais ist dies eine Platte der Begegnungen.A Filetta öffnen sich einigen Gästen, wie diesem, den sie respektvoll als ihren Ältesten betrachten: Antoine Ciosi. ("A l'altru mondu" und "Visioni cari"). Beteiligt ist auch der Georgier Guram Tamazashvili (bei dem herzzerreißenden "Tbilissi"). Ein Öffnen auch für andere Timbres, eine andere Sensibilität, mit den beiden Sängerinnen Marie Jo Alegrini ("A di ti di tu") und Marie Kobayashi ("L'aria"). 16 wunderbare Lieder, fast alle komponiert von Jean-Claude Acquaviva. Dieses Mal hat jeder der Sänger die Gelegenheit  Solo zu singen; die anderen sind aber niemals weit entfernt. Die Arrangements von Jean-Claude Acquaviva und Bruno Coulais sind vorzüglich. Eine intensive Emotion in allen diesen Stücken, mit einer besonderen Erwähnung der Texte von Filippini (Memorie und Visioni Care); zum Weinen schön. Bei « Si di mè » entdeckt der Zuhörer andere Harmonien moderner Instrumentalmusik verbunden mit den traditionellen Gesangstechniken. Trotz des Beitrags der zeitgenössischen Musik bleiben das Timbre und der Klang der Insel vollständig wahrnehmbar für jeden Zuhörer, sei er Neuling oder Stammgast.

„Si di mè" („Du gehörst zu mir“) wendet sich sowohl an diejenigen, die mit uns auf der Platte singen, als auch an die Hörer der Platte, weil man das ständige Gefühl hat, Brüder zu sein.“

Diese wichtige Platte ist leider nicht in den Genuss der Zuhörerschaft gekommen, die sie verdient gehabt hätte; ihre Promotion ist von Virgin buchstäblich sabotiert worden.


Das Requiem von St Denis

2004 komponiert Jean-Claude Acquaviva als Auftrag des Festivals von Saint-Denis ein Requiem pour deux regards (Di Corsica Riposu), eine Requiem-Messe für sechs Stimmen, mit fünf Stücken für Violoncello. Texte von Primo Levi und Jorge Luis Borges, gesprochen von Pierre Bertoni in italienisch, französisch oder korsisch, bereichern das ganze. Dieses Werk wurde am 17. und 18. Juni 2004 in der Basilika von St Denis präsentiert, danach am 16. September 2004 bei den Rencontres in Calvi.

"Der Text von Primo Levi", unterstreicht Jean-Claude Acquaviva, "ist ein Auszug aus seinem Buch Se questo è un uomo, ein Bericht über den Holocaust (Shoah), der besagt: "Behaltet gut im Gedächtnis, das dieses geschehen ist". Es ist ein Text über den Schmerz und die gemeinsame Schuld, über die Tatsache, daß wir Menschen Brüder haben, die anderen Brüdern abscheuliche Dinge angetan haben. Die Texte von Borges, sie behandeln die Grenzen des Lebens, des Erwachens, der Nichtigkeit der Dinge.“

“Dieses Requiem, das mir vor einigen Jahren in den Sinn kam, wurde für Saint-Denis vollständig neu geschrieben. Es geschieht oft, daß ein Requiem für besondere Anlässe geschrieben wird, mit denen man einen Namen oder die Erinnerung an jemanden assoziiert. Das wollte ich nicht machen, weil es das Werk der Gruppe ist. Gleichzeitig, da ich vor zwei Jahren einen Neffen verloren habe, der bei einem Rollerunfall mit einem jungen Freund starb - beide hießen Nicolas - denke ich bei Requiem pour deux regards (Requiem für zwei Blicke) an sie.“

requiem

„Seit den Jahren, als wir in Calvi die Passion geschaffen haben, den Kreuzweg in der Geschichte Christi, haben wir immer von der Geschichte irgendeines Mannes singen wollen, der für seine Entscheidungen, sein Engagement, seine Liebe leidet. In der gleichen Weise wollen wir, daß unser Requiem etwas anderes sein sollte als eine Reihe liturgischer Texte, die, über das Sakrale hinaus, das Gefühl eines unendlichen Verlustes vermitteln; zurückgeführt auf den Menschen und auf seine eigenen Grenzen, und nicht unbedingt auf das Göttliche. Das ist der Grund aus dem wir Texte geschrieben haben, die von dem Menschen sprechen, wo er am Alltäglichsten ist". Es ist eine Art "weltliche" Vorstellung der Religiosität, die die Gruppe anbietet. "Da gibt es die Liturgie, an die man glaubt oder nicht; danach ist da die Realität des Lebens, das endet, das ist ein großer Schmerz, ein gähnendes Loch für die, die zurückbleiben und die unter der Abwesenheit leiden. Wir wollten diese Vorstellung wiedergeben."  

Für Jean-Claude Acquaviva hat die Intensität, die man beim Hören der Lieder wie dem Requiem spürt, keinen traurigen oder dem Tode nahen Tenor. "Diesen Texten, die aus der zeitgenössischen Literatur hervorgegangen sind, haben wir eine neue, menschlichere Dimension geben wollen, und nicht nur einen mit dem Himmlischen verbundenen Aspekt. Das Violonchello mischt sich in die Rezitation ein: es ist das Instrument, das sich am meisten der menschlichen Stimme nähert und viel trägt in diesem Requiem, einen schweren und strengen Aspekt, aber manchmal auch einen leichteren. Dieses Requiem fügt sich in die Flugbahn der Gruppe, weil es Elemente des Erbes der traditionellen Musik beinhaltet, aber nicht nur. Es nährt sich von verschiedenen Einflüssen, weil wir seit 20 Jahren zahlreiche Kontakte mit der mündlichen Tradition anderer Länder hergestellt haben."    

Eine neue Seite von A Filetta: das Theater

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Unter der Leitung von Orlando Forioso, wagten A Filetta am 3. Juli 1999 ein Engagement am Theater: Don Ghjuvanni in Commedia dell’ arte, eine Komödie voller Humor, geschrieben von Marcellu Acquaviva auf eine Musik von Bruno Coulais. Diese Aufführung, die in den Wassergräben von Fort Charlet zum Auftakt der Festivoce 99 gegeben wurde, führt die sechs Sänger von A Filetta, in der Rolle einer umherziehenden Theatertruppe, zusammen mit den italienischen Akteuren der Verbindung Ars Nova, sowie Fernando Panullo, Marcello Colasurdo, Marie Kobayashi und Orlando Forioso, in der Rolle eines Gastwirts. Die Bühnengestaltung ist sichergestellt durch Toni Casalonga, der ein Ambiente kreiert, das an ein korsisches Dorf im 15. Jhdt. erinnert.  

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Die Zusammenarbeit mit Bruno Coulais und Orlando Forioso setzt sich 2002 mit Il Gioco di Robin e Marion fort, einer sehr freien Bearbeitung (in Italienisch) von Robin Hood. Der Hintergrund dieser Oper hat seine Quelle in kindlichen Mythen: die Prinzessin Marian, Gefangene des abscheulichen Sheriffs von Nottingham, hofft, dass ihr innig geliebter Robin, Verteidiger der Schwachen, kommen wird um sie zu befreien. Das Universum ist traumhaft: die Prinzessin ist eingeschlossen in einem großen Vogelkäfig und das Schloss verwandelt sich in einen Wald....

Die Ouvertüre wird gespielt von dem Orchester von Cannes, unter der Leitung von Alain Joutard, mit den lyrischen Sängern Marie Kobayashi und Jean-François Ercolani und einem Chor von 400 Kindern aus korsischen Schulen. Dieses Projekt ist für Alain Joutard "das effizienteste Mittel die Kinder zur Musik zu bringen, die hier in ihrer ganzen Palette dargebotenen wird; ein Gleichklang von Polyphonie mit einer Musik, die in ihrem Wesen populär, lyrisch, kineastisch, reich und offen ist und den Charakter ihres Komponisten widerspiegelt". Diese Aufführung, mit Dekors und Kostümen geschaffen von Toni et Jérôme Casalonga, wurde zuerst am 24., 25. und 26. Mai 2002 im Theater von Nizza gegeben, dann am 8. und 9. Juni 2002 im Palais des Festivals von Cannes und am 15. Juni in Cannet. Sie wird wieder aufgenommen in der Städtischen Oper von Bastia am 9. und 10. Mai 2003. Man kann einen musikalischen Auszug, L’Aria, auf Si di mè hören, und die gesamte Aufführung wurde von France 3 Corse ausgestrahlt.  

gioco

2005 komponieren A Filetta die Musik von " Fantastica, la Grammaire de l’imagination ", ein Stück, das inszeniert wurde von Orlando Forioso auf der Grundlage eines Textes von Gianni Rodari. Dieses Stück, gespielt in mehreren Wiederaufnahmen von den Kindern von Calvi, sollte die 17. Rencontres Polyphoniques beenden. Leider hat das schlechte Wetter es nicht erlaubt, die Aufführung open air zu präsentieren. Die Lieder wurden von A Filetta in der Kathedrale gesungen, ohne Schauspielerei. Diese erheiternde Aufführung sollte in Calvi 2007 erneut präsentiert und aufgenommen werden.   

Marco Polo

Anfang 2006 finden sich A Filetta, Bruno Coulais und Orlando Forioso wieder zusammen für Marco Polo, eine Oper, die zuerst in Bastia präsentiert wird, dann im Rahmen der Biennale in Venedig, mit Guillaume Depardieu.

 

Colomba

Orlando Forioso präsentiert im Mai 2007 eine Neuauflage von Colomba, nahe an den griechischen Tragödien. Für diese Aufführung, deren Premiere am 5.Mai 2007 in Bastia war, vereinigt Orlando Theater, Rezitativ und Gesang, und mischt in diesem großartigen, beliebten Schauspiel die Sprachen, abwechselnd französisch, englisch, italienisch und lateinisch.   

 

Der Tanz: In memoriam

Am 26.Dezember 2004 beteiligen sich A Filetta auch an der Kreation des Balletts „In Memoriam“ von Sidi Larbi Cherkaoui. Abwesenheit, Präsenz, Wurzeln, Vergangenheit, Gegenwart: zu dem Ballett, das sich um diese Themen dreht, wurde er inspiriert durch die Stimmen von A Filetta.

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Als ich anfing an die Musik für dieses Balletts zu denken, begann ich zu überlegen, mit wem ich mir wünschen würde zu arbeiten. Das waren A Filetta. Es ist eine Musik, die ich seit vier Jahren kannte, und ich hatte sehr, sehr große Lust, eines Tages etwas dafür zu machen. In einer meiner früheren Aufführungen haben wir mit sehr altem polyphonen Gesang gearbeitet, aus dem 10. und 13.Jhdt. Zum Aufwärmen legten wir immer dieselbe CD ein, das war „Intantu“ von A Filetta. Danach habe ich mir alle ihre anderen Alben geholt, ich habe versucht, zu verfolgen, was sie machen, ich bin zu ihren Konzerten gegangen. Das ist eine Musik, die mich zutiefst berührt, und ich habe meine kleine Geschichte auf diese Musik aufgebaut.“   

inmemoriam 
Foto : Franz Chavaroche

„Wir sind glücklich, dass Sidi Larbi sich an uns gewandt hat, denn das ist ein neues Abenteuer“, sagt Jean-Claude Acquaviva. „Wir haben viele Sachen in sehr unterschiedlichen Bereichen realisiert und, außer bei Medea, wo Gesang, Theater und Tanz vermischt sind, waren wir noch nie an einem Ballett beteiligt. Wir waren überrascht und bewegt, zu sehen, in welchem Maße Sidi Larbi wahrgenommen hat, was zwischen uns abläuft, wenn wir singen. Seine Choreographien haben uns wirklich berührt. Unsere Lieder, hervorgegangen aus einer christlichen und liturgischen Erinnerung, die Leidenschaft und Schmerz ausdrücken, sind mit einer erstaunlichen Ästhetik in den Tanz umgesetzt“. Auszüge aus dieser Aufführung wurden am 12. und 13. August 2006 in Monaco erneut präsentiert. Jean-Claude hat uns bei dieser Gelegenheit seine Bewunderung für den Choreographen anvertraut, der auch Sänger und Musiker ist. „Er kennt alle unsere Lieder auswendig, und als wir es geprobt haben, haben wir U Sipolcru einen Halbton unter der Version auf CD gesungen. Nun, er hat es gemerkt und uns gebeten, es noch einmal zu wiederholen wie auf der Platte. Manchmal hat er a terza mit uns gesungen… » Das Ergebnis dieses Treffen, voller Schönheit, Gefühl und Anmut, ist ein glänzender Erfolg.  

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Crédit photo : Laurent Philippe
Und am 2007 Sidi Larbi Cherkaoui fûr seine erste Schöpfung am Théâtre de la Monnaie in Brüssel, legte wieder zu seinen Freunden A Filettas.

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Noch einmal Medea…

Im Februar 2005 realisiert die Gruppe ein altes Projekt: die Aufnahme der gesamten Chöre, die1997 für Medea komponiert wurden. Die Chöre von Medea werden präsentiert im Rahmen der „Nuit blanche“ am 1. Oktober 2005 im Cour Marly des Louvre. Die CD kommt im Juni 2006 heraus.

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Aghju sunniatu qualchi volta è più à un antivistu mondu senza strade. Alta felicitai?

 

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Fotos Brigitte Kühn

Die Zusammensetzung der Gruppe

Was ist die Basis für die Zusammenarbeit der Gruppe? Die Begeisterung für diese Form des Ausdrucks, sicherlich; die Qualität der Stimmen, selbstverständlich; aber auch, und vielleicht vor allem, etwas Undefinierbares, eine Mischung von fester Freundschaft und tiefem Respekt füreinander. 

„Die Polyphonie, das ist ein Zusammentreffen von verschiedenen Stimmen in perfekter Harmonie. Ich behaupte nicht, dass wir immer dieses Ziel erreichen, nach dem wir streben. Aber ich bin sicher, um dahin zu gelangen, ist eine perfekte Osmose unter allen Teilnehmern unerlässlich.“ (Jean Sicurani)

„Das ist ein Gesang, bei dem jeder vollständig für das verantwortlich ist, was er dazu beiträgt, aber gleichzeitig total abhängig ist und Anteil hat, an dem was die anderen geben. Ohne die Existenz einer sehr festen und besonderen Verbindung unter uns wäre kein dauerhaft gutes Resultat zu erreichen.“ (Jean-Claude Acquaviva )

Diese Verbindung von außergewöhnlicher Qualität wird gleichzeitig genutzt und verstärkt bei der gemeinsamen Suche A Filettas nach musikalischen Arrangements für traditionelle Lieder, wie auch für Neuschöpfungen. Die Letzteren gehen von einem Text aus, der geschrieben wurde von Jean-Claude Acquaviva, seinem Bruder Marcellu oder anderen Autoren der Insel, alten (Filippini) oder zeitgenössischen (Rinatu Coti, Ghjuvan-Teramu Rocchi). Wie es in einer alt überlieferten Kultur Tradition ist, die auf dem Mündlichen basiert, gibt es von den Vertonungen Jean-Claudes keine Partitur. Liedtexte und Melodie werden folglich von jedem Mitglied der Gruppe „über das Ohr“ aufgenommen, bevor sie sie bearbeiten und gemeinsam interpretieren: Jeder hört aufmerksam den anderen zu, keiner versucht das Ensemble zu dominieren, alle sind konzentriert bei der gemeinsamen Suche nach der perfekten Harmonie ihrer Stimmen. 

Liste all derer, die am Abenteuer A Filetta Anteil hatten:

Gründungsmitglieder :

Michel Frassati,
Tumasgiu Nami,
Dédé Nobili,
Jean-Claude Acquaviva,
Jean Sicurani,

Danach, in alphabetischer Reihenfolge :

François (Ceccè) Acquaviva,
Jean Antonelli,
Daniel Berti,
Pierre Bertoni,
Stéphane Casalta,
François Croce,
Natale Ferricelli,
José Filippi,
Eric Fino,
Jean Yves Franceschi,
Jean-Luc Geronimi,
Nonce Giacomoni,
Stéphane Giannecchini,
Paul Giansily,
Tony Guidicelli,
Christian Johanenc,
Yves Leccia,
Jef Leschi,
Jean Luciani ,
Christian Magdelene,
Antoine Mariotti,
Philippe Mariotti,
Maxime Merlandi,
Paul Félix Nasica,
Henri Olmeta,
Francis Palmari,
Battì Paoli,
Bernardu Pazzoni,
Jean Marc Pellegri,
Jean Luc Raclot,
Valérie Salducci,
Benedettu Sarocchi,
Jean Philippe Tomi,
Félix Travaglini (Felì),
Maxime Vuillamier

Plus vier Musiker, die die Gruppe während einiger Jahre auf den Tourneen von "Una tarra ci hè" begleitet haben: Anne-Lise Herrera, Isabelle Escanez , Jean Michel Giannelli und Paul-Antoine de Rocca Serra.

Die aktuelle Gruppe setzt sich wie folgt zusammen:

Jean-Claude Acquaviva, Sprecher der Gruppe, siconda und terza, Paul Giansily, siconda und terza, 1984 dazugekommen, Maxime Vuillamier, bassu (1989), Stéphane Serra, siconda und terza (2014 hinzugekommen), François Aragni, siconda und bassu (2014 hinzugekommen), und schließlich Petru Antò Casta (siconda und bassu), der 2017 zur Gruppe kam. Zu diesen muss man noch die allgegenwärtige Valérie Salducci hinzufügen, gleichzeitig Regisseurin, Beleuchterin, Verwalterin...

max
Corse matin von 06/04/2006 

Die Eingliederung der Gruppe in das lokale Leben

A Filetta waren schon immer in das örtliche Leben fest integriert. Das bezeugen nicht nur die gemeinsamen Aktionen mit U Svegliu Calvese im Umfeld der Passion, des Via Crucis und der Rencontres Polyphoniques, sondern auch die ganze gemeinsame Arbeit im erzieherischen Umfeld durch das Hineingehen in die Schulen und die Aufführungen Il Gioco di Robin e Marion und La Grammaire de l'imagination. Man wird auch das Projekt "creazione, canti e incontri" in Erinnerung behalten, realisiert mit dem Kulturzentrum "Una Volta" von Bastia, umgeben von einer auf die Kinder ausgerichteten pädagogischen Arbeit mit der Gruppe Soledonna.

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Zum Abschluss : Öffnung und Tradition

Das, was den Weg der Gruppe A Filetta charakterisiert oder eher bestimmt, ist wahrscheinlich die Vorstellung den Dingen Leben zu geben, Bedeutung und nicht nur einen Sinn. Der Anlass zur Gründung war es, einen Beitrag zur Wahrung des traditionellen oralen Erbes zu leisten. Dann hat sich sehr schnell das nicht zu unterdrückende Bedürfnis manifestiert, den Gesang weiterzuführen, damit er ein Spiegel bleibt, in dem sich, zweifellos in undeutlicher und getrübter Form, etwas reflektiert, das niemals erstarrt. Dieser kreative Prozess verlangt gewiss Strenge, aber auch und vor allem ein sich Öffnen für eine komplexe und vielfältige Welt.
 
Ob sie die antiken Chöre von Medea oder für Bruno Coulais singen, die Seele ihrer Polyphonie ist immer präsent. Erbe einer starken Tradition, aber interessiert an dem Treiben der Welt, ist das Ensemble A Filetta keine dieser Formationen, die in der Vergangenheit verankert sind.  

„Mit einer immer sichereren Linie geben A Filetta von Konzerten bis Platten eine gleichermaßen feurige und ruhige Vorstellung von kirchlichen und profanen Liedern, die nach und nach ihr Repertoire ausmachen. Traditionelle Lieder und Neuschöpfungen mischen sich, Hymnen an die Sprache und an die Kultur der Insel, aber auch Appelle an andere Horizonte.“

(Philippe-Jean Catinchi)