Parole abisse chè dicenu pocu è tantu"
Aussagen von A Filetta

Letzte Aktualisierung der Seite : 13. März, 2011

Die interviews :
- "Unser Weg hat uns vieles gelehrt", Badische Zeitung, 12.07.2009
- "Des hommes debout" : Jean-Claude Acquaviva und Danyel Waro pour Mondomix             (novembre 2008)
- Benjamin Minimum für Mondomix (28 août 2008)
- RFI Musique 15 juillet 2008
- Tra Noi/L'Invitu - U Carubbu 12 juin 2008
- Corsica mai 2008
- Corse Matin 2 février 2008
- Tra Noi 16 décembre 2007
- L'Invitu - U Carubbu 19 septembre 2006
- Vincent Zanetti 15 septembre 2006
- Benjamin Minimum für Mondomix (septembre 2006)

BZ
Unser Weg hat uns vieles gelehrt
Ähnlich wie vor zwei Jahren Bobby McFerrin, ist 2009 die korsische Vokalgruppe "A Filetta" als "Artist in Residence" zum "Stimmen"-Festival eingeladen. Innerhalb einer Woche treten die sieben Männer in drei völlig unterschiedlichen Projekten auf. Annette Mahro hat den Leiter des Ensembles in Lörrach getroffen.

BZ: Jean-Claude Acquaviva, es heißt "A Filetta", das sind Sie. Sie haben die Gruppe aber nicht gegründet…

Acquaviva: Nein, ich bin tatsächlich erst einen Monat nach der Gründung 1978 dazu gekommen, ich war damals 13. Heute bin ich der Komponist und oft auch das Sprachrohr, selbst innerhalb der Aufführungen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass ich der Einzige wäre, der das könnte oder wollte. Es ist nur (lacht) für die anderen einfacher, sagen wir bequemer. Jeder greift aber in die Entscheidungen ein, jeder gibt seine Anregungen und Ideen, das ist sehr wichtig für uns

BZ: Zum "Stimmen"-Festival kommen sie nicht alleine. Dem Auftakt mit Sidi Larbi Cherkaoui folgt heute die Burghof-Eigenproduktion "Pessoassion", eine Auseinandersetzung mit der Literatur Fernando Pessoas. Wie ist es dazu gekommen?

Acquaviva: Das war Helmut Bürgels Idee, der schon einige Male bei dem Polyphonie-Festival in Calvi war, das wir jedes Jahr organisieren. Für uns ist es ja auch schon der dritte Besuch in Lörrach. Pessoa hat er eingebracht ebenso wie die Musikerin Joana Aderi, den Schauspieler Peter Schröder, den Fotografen Torsten Warmuth und natürlich Marion Schmidt-Kumke, die alles in Szene setzt und mit der wir auch auf Korsika zusammengearbeitet haben. Obwohl aber alles schon vollständig festgezurrt ist, bleibt der Auftritt ein lebendiges Abenteuer.

BZ: Marion Schmidt-Kumkes Anspruch war dabei, "Pessoa ein Gesicht zu geben". Bei Bildern oder Filmen geht das sehr gut, aber in der Literatur?

Acquaviva: Das geht gerade bei Pessoa sehr gut, bei dem man, sagen wir, mit den musikalischen Farben spielen kann, die in seinem Werk sehr ausgeprägt sind. Seine extrem komplexe, vielfältige Persönlichkeit können wir so sehr gut wiedergeben oder auch den Wechsel von einer Person zur anderen. Ich glaube, dass das musikalisch gerade über den Weg unserer Polyphonie sehr gut geht. Noch besser wird es zusammen mit Joana Aderi, die Pessoa elektronisch weiter in Teile aufteilt. Ich denke, dass das dem Autor sehr gerecht wird, der ja alles andere ist, nur eben nicht monophon, nicht einstimmig.

BZ: Anders als Ihre "Pessoassion"-Begleiter kennen Sie Danyel Waro von der Insel La Réunion, mit dem zusammen Sie am Samstag in den Rosenfelspark kommen, schon länger.

Acquaviva: Ja, wir sind ihm 2003 zum ersten Mal begegnet. Er ist ein charismatischer Sänger, den wir sehr schätzen und mit dem wir direkt etwas zusammen machen wollten. 2008 gab es dann eine Begegnung zwischen unserer korsischen Polyphonie und der Maloya-Musik, die Danyel Waro singt. Das Ergebnis war etwas sehr Erstaunliches. Maloya ist sehr pulsierend und auch trancehaft. Wir haben da unsere Vielstimmigkeit eingebracht, unsere Harmonien. Was Waro macht, ist das Gegenteil. Zwar gibt es auch bei ihm gelegentlich Wechselgesänge, etwa mit einem Chor. Aber dem steht nur eine Stimme in einer getrennten Linie gegenüber. Wir "polyphonieren" sie sozusagen.

BZ: Sie sind beim Festival als "Artist in Residence" angekündigt. Was bedeutet das für Sie?

Acquaviva: Ganz praktisch kommen wir ja mit drei völlig unterschiedlichen Arbeiten nach Lörrach. Das macht aber auch unseren künstlerischen Prozess in den 30 Jahren unseres Bestehens sichtbar. Das heißt, es geht um Tradition und um unsere Wurzeln, aber insbesondere um die Entwicklung. Gerade sie ergibt aber ja nur einen Sinn, wenn wir uns auch mit anderen Künstlern und mit dem Publikum austauschen. Unser bisheriger musikalischer Weg hat uns vieles gelehrt, vor allem aber, dass es immer sehr viel wichtiger ist, das sein zu wollen, was man verteidigt, als um jeden Preis verteidigen zu wollen, was man ist. Wenn wir uns also als Teil einer mächtigen Tradition begreifen wollen, dann müssen wir vor allem nach deren Sinn in einer globalisierten Welt fragen. Beim "Artist in Residence" bei einem internationalen Festival wie "Stimmen" geht es meiner Meinung nach letztendlich genau um die um dieses Signal: Teil des Ganzen zu sein.

– "Pessoassion", eine Hommage an Fernando Pessoa mit A Filetta, Joana Aderi und Peter Schröder, heute, Mittwoch, 15. Juli, 20. 30 Uhr Burghof Lörrach.
– A Filetta und Danyel Waro, Samstag, 18. Juli, 20 Uhr, Rosenfelspark in Lörrach  

Ein neues Interview veröffentlicht von Mondomix 

28.08.2008


Jean-Claude Acquaviva und A Filetta feiern dieses Jahr 30 Jahre einer beispielhaften Karriere und 20 Jahre Rencontres Polyphoniques in Calvi vom 9. bis 13. September. Ihre Sicht der Welt ist voller Schärfe.

Wie ist die kulturelle Situation auf Korsika heute?


Man kann sagen, daß sich Korsika in einer etwas paradoxen Situation befindet. Es wurden erhebliche Anstrengungen in vielen Bereichen unternommen (Literatur, Musik, Theater, Film, bildende Kunst etc. ...), mit allen irgendwie verfügbaren Mitteln, und das führte zu einer phänomenalen Produktion angesichts der geringen Bevölkerungszahl der Insel. Deswegen registriert man keine große Zunahme beim Besuch der Veranstaltungen. Man muss sagen, dass das Fehlen von Infrastruktur uns die Aufgabe nicht gerade erleichtert und es in einigen Fällen sogar schafft, die Begeisterung derer zu erschüttern, die seit nunmehr drei Jahrzehnten versuchen, das Gebiet abzustecken. Korsika kommt weiter voran, aber ein bisschen wie ein Seiltänzer! Ich befürchte, dass es noch für lange Zeit so sein wird, denn unsere nationalen und regionalen politischen Instanzen scheinen nicht zugeben zu wollen, dass die Kultur auch eine soziale Hygiene ist, die durch Knüpfen von Verbindungen Sinnvolles entstehen lässt.

Worin unterscheidet sich diese Situation vom übrigen Frankreich?

Korsika hat ab den 70er Jahren alle seine Kräfte mobilisiert, um zu bewahren, was es noch sein konnte. Aus diesem Grund existiert eine Form des kulturellen Aktivismus verbunden mit der Problematik einer "Verteidigung der Identität". Dies  erklärt eine derartige Begeisterung, eine solche Kraft, und bringt gleichzeitig unsere echten Schwierigkeiten bei der Vorstellung einer Welt zum Ausdruck, in die wir uns immer mit etwas Scheu einfügen ... Ist das den Inselstaaten vorbehalten?

Mir welchem Einsatz verteidigen Sie die Sprache?

Ehrlich gesagt, wir stellen uns als Kunstschaffende nicht das Problem ihrer Verteidigung. Unsere Sprache drängt sich uns auf, spult sich ab mit unserem Atem. Als Bürger unterstützen wir selbstverständlich alle Maßnahmen, die ihre Praxis in der korsischen Gesellschaft verstärken. Wir fordern immer dafür mehr Mittel, damit sie weitergegeben, unterrichtet, verbreitet, bereichert werden kann. Wir sprechen uns für eine echte Anerkennung aus und warten noch immer ungeduldig, dass Frankreich sich entschließt, die europäische Charta für Minderheitensprachen zu ratifizieren. Nur eine Co-Amtlichkeit ist geeignet sicherzustellen, dass unsere Sprache eine reelle Fähigkeit hat, im öffentlichen Raum eingesetzt zu werden. Sie muß ihren ganzen Platz einnehmen und darf nicht nur die Sprache des Gesangs oder Theaters sein.

Gibt es für Sie eine Ethik, die respektiert werden muss, um die Tradition sich weiter entwickeln zu lassen?

Wir haben immer bekräftigt, dass eine Tradition nur sinnvoll ist, wenn sie weiter wächst. Sie ist in Bewegung, in ständigem Aufbau. Die einzige Ethik, die es meiner Meinung nach wert ist zu bestehen, ist, ehrlich sich selbst gegenüber zu sein. Das ist es ohne Zweifel, was uns unermüdlich wiederholen lässt: "Besser sich wünschen, das zu sein, was man verteidigt, als nur verteidigen zu wollen, was man ist!". Es gibt einen sehr schönen Ausspruch von René Char, den wir gern zitieren: "die reinste Ernte ist in einem Boden ausgesät, der nicht existiert; sie eliminiert die Dankbarkeit und schuldet sie bis zum Frühjahr". Gott weiß, ob wir mit unserer Erde verbunden sind, aber könnten wir es bleiben, wenn wir nicht die Hoffnung auf einen Frühling hätten?

Inwieweit hilft die Kenntnis der Traditionen die Welt ins Auge zu fassen?

Zunächst, weil wissen wollen bedeutet, versuchen zu verstehen. Zweitens, weil es illusorisch und gefährlich ist zu glauben, dass die Traditionen nur zu den Wurzeln zurückreichen; über die Tatsache hinaus, dass wir uns durch sie in unseren Praktiken unterscheiden, bringen sie uns Menschen in die gleiche Lage.

"hè andatu u tempu à impachjà si in i libri
è di noi hè firmatu cio' chi' un erede pensa :
un andatu, un erta,
una fiarata intensa
è nant'à l'allusingà
una nivaghja immensa"

"unsere Zeit hat sich in Büchern verirrt
und deren beigen Seiten 
und von uns bleibt nichts als der Gedanke eines Erben:
ein schmaler Weg, eine Klippe,
ein immenses Flammenmeer
und auf der Haut unserer Illusionen
reichlich Schneefall"

Eure Lieder beziehen sich oft auf das Religiöse. Welchen Platz und welche Form nimmt die Spiritualität in Ihrem Leben ein?

Das traditionelle polyphone Repertoire ist zum großen Teil mit religiösen Praktiken verbunden. Durch die Bewahrung und die Fortsetzung durch Neukompositionen nimmt es einen bedeutenden Platz auf unserem Weg und in unserem Leben ein. Ich glaube nicht, dass man hier eine Zustimmung zu einem Dogma sehen muss. Für uns ist das Religiöse vor allem das, was miteinander verbindet. Es ist eine Art, die anderen als einen Teil von uns selbst zu erkennen. Eines unserer Lieder aus einem Requiem ( "Corsica riposu Di - Requiem für zwei Blicke", komponiert 2004 beim Festival von Saint-Denis) sagt, "figliolu von ellu, si' figliolu di meiu" / "weil du sein Sohn bist, bist du auch der meine ". Allein schon diese paar Worte sagen mehr über unsere Sicht dem Anderen gegenüber als eine lange Ausführung.

Wie sehen Sie die Rolle der Religion in der heutigen Gesellschaft und ist sie richtig?

Für mich ist es immer schwer zu verstehen, wie die Religionen sich an die Werte anpassen können, die unsere moderne Gesellschaft begründen und organisieren: der Beste sein, ein Sieger sein, seine Verantwortung für alle Eventualitäten einzugrenzen zu wissen, nur das Wohlbefinden für sich oder die Seinen im Sinn zu haben, der individuelle Erfolg ... etc. Das erklärt ohne Zweifel, dass sie sich sehr oft nur wie ein Zufluchtsort erleben, ein Bollwerk, eine gelegentliche Rückzugsstellung, d.h. das genaue Gegenteil von dem, was sie bekunden sollten. Wir von unsrer Seite sagen seit langem und ohne irgendeinen Anspruch, dass es uns scheint, dass Leben bedeutet, die Schlachten zu schlagen, denen man nicht entrinnen kann, weder als Sieger noch als Besiegter, aber gewachsen, und dass wir als Menschen alle verantwortlich sind für alles!

Bei Ihrer Arbeit spielen die Texte eine wichtige Rolle; wie wählen Sie sie aus?

Sagen wir zunächst, dass es ein nicht geringes Risiko bei unseren Polyphonien besteht, dass der Klang den Inhalt überflügelt, denn die Harmonie ist eine Sprache mit starker Persönlichkeit! Das ist ohne Zweifel der Grund, warum wir den Worten eine so große Wichtigkeit geben, ihrer Bedeutung und ihrer Musikalität, die zu einer Einheit werden müssen. Wir schreiben einen großen Teil der Texte, die während unserer Konzerte gesungenen und gesprochenen werden. Es kommt auch vor, dass wir Autoren zitieren, wenn es uns scheint, dass sie unsere gesungenen Worte verdeutlichen. Unsere Auswahl richtet sich nach unseren Lektüren und wird von unserem Literaturgeschmack geleitet.

Sie haben einen Text von Primo Levi in Erinnerung an den Holocaust bearbeitet; was hat Sie dazu bewogen, dies zu tun?

Es ist vor allem die Wahrheit dieses herzzerreißenden Textes, der alle Stigmata des Schreckens und des Leidens dessen in sich trägt, der die Barbarei erlebt hat und ertragen hat. Primo Levi sagt, weil es unmöglich ist, zu verstehen, ist es notwendig zu wissen, denn das was war, könnte wieder sein; das Gewissen könnte wieder verführt und verdunkelt werden. Unseres auch!

Dieser Gesang ist ein kaum zu unterdrückender Schrei, als dass Levis Text weiterhin nicht immer und überall gehört wird...

Sie haben ein Festival ins Leben gerufen, "Rencontres de chants polyphoniques de Calvi"; welche Schwierigkeiten treten dabei auf, dieses Event fortzuführen?

Dieses Festival ist ein jährliches Treffen von allen polyphonen Ausdrucksformen, die es auf der Welt gibt. Im September feiert diese Veranstaltung ihren 20. Geburtstag. Die Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert werden, sind im Wesentlichen wirtschaftlicher und finanzieller Art: die Programmgestaltung erfordert gleichermaßen zunehmende Mittel, wo alles ansteigt und immer entfernter wird. Vor allem die Budgets für die Beförderung von Künstlern werden immer höher. Doch die staatlichen Beihilfen nehmen ab, und unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, da unsere Aufführungsorte (eine Kirche und ein Oratorium) eine bescheidene Meßlatte anlegen. Wir haben noch immer keinen Saal, der diesen Namen verdient, und sind dem (nicht immer einfach zu tragenden) Risiko einer Programmgestaltung im Freien unterworfen ... Jeder weiß, dass wir "Königswetter" haben, aber nicht immer! Und schließlich ist das private Sponsoring äußerst gering. Für den Rest, Gott sei Dank, sichert die Begeisterung Dutzender Freiwilliger dieser Veranstaltung eine schöne Lebendigkeit und verleiht ihr vor allem eine Großzügigkeit, die vom Ensemble der eingeladenen Künstler geschätzt wird.

In wiefern hat dieses Festival Ihre Arbeit beeinflusst?

Zunächst hat es uns unsere eigene vokale Tradition besser verstehen lassen, indem es sie zu ihrem Ursprung zurückführt. Unsere Musik tritt stärker hervor, vertrauensvoller und vor allem besser akzeptiert. Die Entdeckung anderer Sprachräume hat uns natürlich veranlasst, bestimmte Einflüsse zu integrieren; den Gesang Georgiens zum Beispiel, von dem wir gerne sagen, dass er uns gelehrt hat, gewaltige Dinge sanft und sanfte Dinge machtvoll zu sagen. Darüber hinaus bringt jede Neuauflage eine Anzahl musikalischer "Klapse" mit sich, die uns auffordert, uns gleich nach der Abreise unserer Gäste an die Arbeit zu machen.

Bei dem Festival treffen Traditionen aus der ganzen Welt aufeinander; wie überlagern sie sich?

Es erscheint sehr interessant, dass nach der Überraschung der Entdeckung sich beide Seiten völlig "öffnen". Diese Treffen haben sich ihren Ruf auf drei Säulen aufgebaut:
- Die Qualität der Betreuung
- Die Künstler sind unsere Gäste während der ganzen Woche, auch wenn ihr Konzert am Anfang oder am Ende des Programms stattfindet. Auf diese Art haben sie die Zeit und die Möglichkeit, den Anderen zuzuhören. Das ist natürlich schwerer in finanzieller Hinsicht und auch bei der Logistik, aber es entspricht unserer Vorstellung einer Begegnung.
- Wir lieben es, den Künstlern auf ihrem jeweiligen Weg zu folgen und wir lassen das Publikum teilhaben an diesem Abstand. Oft erscheint es uns, dass wir einige Jahre später  dieses oder jenes feststellen, das auf hier erworbene Einflüsse und Praktiken zurückgeht. Das ist eine natürlich Art den Traditionen den Zweck einer gewissen "Mobilität" zu geben.

A Filetta feiert 30-jähriges; was bedeutet das für Sie?

30 Jahre sind schon ein beachtlicher Weg. Der Traum setzt sich fort und macht uns weiterhin zu  Privilegierten. Was diese Langlebigkeit erklärt, ist vermutlich die Bedeutung, die wir immer der Fähigkeit jedes Sängers zugestanden haben, sich dem Kollektiv zu überlassen, ohne jemals seine eigene Persönlichkeit aufzugeben. In dieser Hinsicht haben wir den Anspruch zu behaupten, dass wir eine wahre soziale Heimat bilden; einen wohlwollenden Kokon, der es uns erlaubt, das Äußere in aller Ruhe auszusperren. Einer unserer Freunde, Pierre Baquis, hat uns einen sehr schönen Brief geschrieben, der mit den Worten endet: "Ihr singt, und um euch herum entsteht eine Kapelle, die uns beschützt". Glauben Sie nicht, dass es ein Zeichen von großen Unbescheidenheit ist, diese Worte zu berichten, aber wir mögen die Idee so sehr, etwas beitragen zu können, sei es auch wenig, zum Glück von jedem Wesen, das uns ein Ohr „leiht“.

"Eure Hölle ist dennoch meine,
wir leben unter der gleichen Herrschaft
und wenn ihr blutet, blute ich
und ich sterbe in euren eigenen Bindungen

Wie spät ist es? wie ist das Wetter?
ich hätte jedoch so gern
für euch gewonnen, für mich könnte verlieren
vielleicht nützlich gewesen sein"

 L. ARAGON

Was hat sich geändert zwischen der Intention des Beginns und Ihrer gegenwärtigen Situation?

Als die Gruppe gegründet wurde, war ich 13 Jahre alt! Es ist klar, dass wir zu dieser Zeit nicht vorhersahen, dass wir solche Entdeckungen machen würden! Unser Hauptanliegen war die Teilnahme an einer Art kulturellen Dynamik, die unserem Land sein wahres Gesicht wiedergeben sollte; denn wer könnte heute leugnen, dass Korsika seit zwei Jahrhunderten eine wirkliche Politik der Tilgung seiner Identität hinnehmen musste? Heute ist diese Bewegung viel reifer geworden und schlecht gewählten Reaktionen entwachsen. Nun verhalten wir uns nicht mehr wie Kinder, die ständig "ich will etwas sagen!" schreien. Heute sprechen wir! Wir sind inzwischen auch zu der Überzeugung gelangt, dass die "Verteidigung“ aller Identität eher durch die Identität geschieht, als durch ihre Verteidigung. Schließlich wird die Tatsache, dass wir uns vor 15 Jahren entschieden haben, vom Gesang zu leben uns ermöglichen, uns voll und ganz dieser Arbeit zu widmen, die uns immer und immer wieder begeistert.

Im Anhang der Leitartikel der letzten Ausgabe von Mondomix. Wie ist Ihre Reaktion darauf?

Es sei uns hier erlaubt, Marc Benaïche zu diesem Editorial zu beglückwünschen, das unsere totale und bedingungslose Zustimmung findet. Wir sind empört, entsetzt, angewidert über die Scheinheiligkeit unserer Gesellschaft, die ihre Geschäfte fortführt und dabei munter ganze Völker und ihre Grundrechte niedertrampelt. Wir bekräftigen erneut: Wir sind alle verantwortlich für alles. Man vernichtet, man verhöhnt, man verfälscht im Namen des hochheiligen Wachstums; das ist unwürdig und widerlich! In der gleichen Art erneuert man unsere Grenzen zu jenen, die man beraubt, ruiniert, verleugnet und versklavt hat und die gezwungen sind, in einem Flüchtlingsboot oder dem Fahrgestell eines Flugzeugs ihr Leben zu riskieren, um ihre Haut zu retten, und man hat sogar die Frechheit, ihnen zu sagen, „dass man keinen Platz für das Elend der ganzen Welt hat!" Welcher Mut! Welche Großzügigkeit!
Als wir ein wenig in der Welt herumgekommen ist, waren wir oft fassungslos ob der Art wie wir, die westlichen Länder, uns weiterhin anderswo aufführen; die Worte Aimé Césaires behalten eine erschreckende Aktualität ...

Eine CD, ein Buch, ein Film; was hat Sie vor kurzem beeindruckt?


Das letzte Album von Gabriel Yacoub, "von der Natur der Dinge": ein wahres Wunderwerk. Ich bleibe dabei, dass er unter den besten, wenn nicht der beste französische Sänger ist!

Benjamin MiNiMuM


Exclusiv : Gespräch im "Carubbu"

Am 12. Juni 2008 waren wir, zusammen mit unseren niederländischen Freunden von Tra Noi, Laurent und Suzan und ihrem Sohn Julien, sowie Joëlle und Jean-Paul Pillot, Gäste A Filettas im Carubbu. 

terrasse
Auf dem Flachdach des Carubbu...
Suzan, Laurent, Julien, Anne Marie, Maxime und seine Tochter, Jean-Paul und Joëlle

30 Jahre A Filetta

Jean-Claude Casanova: Ihr werdet bald (wenn auch nicht offiziell) 30 Jahre A Filetta feiern. Meine Frage ist hauptsächlich an Jean, denn du bist einer der Gründer der Gruppe. Zunächst, welche Bilanz zieht ihr aus diesen 30 Jahren, und gibt es Dinge, die ihr bedauert, gemacht zu haben, oder Dinge, die ihr leider während dieser 30 Jahre nicht gemacht habt?

Jean : Die Frage richtet sich an alle. Nein, wir bedauern nichts. Wir haben immer innerlich angenommen, was wir getan haben, und es nicht nur akzeptiert, sondern viel Freude daran gehabt, es zu tun. Wir waren immer in perfekter Osmose bei den verschiedenen Projekten. Auch wenn wir am Anfang nicht unbedingt alle von diesem oder jenem Projekt überzeugt waren, am Ende findet man alles großartig.

Das war ein sehr schöner Weg, und ich hoffe, dass er noch einige Jahre andauern wird, obwohl das Alter beginnt zu belasten! Projekte, die wir nicht gemacht haben? Wir haben viele Sachen gemacht, wir haben sicherlich viel zu tun, man wird sehen, wie wir vorankommen werden.


jean
Jean (photo : Anne Marie Casanova)

1901

Laurent Lohez Nun, gehen wir über zu Bracanà. Eine Frage zu 1901. Ich vermute, dass Tao inzwischen gestorben ist. Worauf basiert das Lied, auf Erzählungen ? 

Jean : Er ist jemand, den ich kannte, seit er in Calvi wohnte. Die Geschichte des Liedes ist verbunden mit der Begegnung mit den georgischen Sängern, vor allem aber mit Liebe und Leidenschaft, die wir mit Jean Temir teilen, einem der Söhne von Tao, der Georgier war. Das Lied wurde komponiert zum Gedenken an Tao und den Vater von Cathy Antonini, die meine angeheiratete Tante ist. Ihr Vater war Georgier aus dem Kaukasus. Tao ist nach Korsika gekommen und lebte hier. Der Vater von Cathy war in Frankreich im Exil, nicht in Korsika, sie aber hat auf Korsika mit einem meiner Onkel eine Familie gegründet und immer hier gelebt.
Es handelt sich also gleichzeitig um die Liebe für dieses Land, die man entdeckt durch die georgischen Sänger, und auch persönlich, denn wir fuhren mehrmals dorthin, um zu singen. Und für mich ist es eine der schönsten Erinnerungen, die Begegnung mit einer Gruppe von Menschen, den Sängern und ihrem Land. Der Empfang, den wir dort erlebten, das war wirklich etwas, dass ich gar nicht beschreiben kann, so stark war es. Sie haben uns ihr Herz geöffnet, und das lässt sich nicht ermessen, es war wirklich sehr heftig.
Es ist also eine Hommage an dieses Land, an diese beiden Personen, die nicht allen unbedingt bekannt sind, die aber dem korsischen Land Kinder geschenkt haben, es ist eine Fusion dieser beiden Länder durch dieses Lied und vor allem die Liebe zu den Menschen.
 

Bracanà

JC : Ich möchte noch einmal auf die Entstehung von Bracanà zurückkommen. Nach unseren verschiedenen Gesprächen habt ihr die Idee letztendlich ein wenig verändert. Ursprünglich gab es vor allem Titel von Bruno Coulais?  

José Filippi : Wir hatten die CD bereits letztes Jahr aufgenommen und waren nicht zufrieden mit der Tonaufnahme, dem gesamten Klang. Man hatte sich für die individuelle Aufnahme der Stimmen entschieden, Stimme für Stimme, und beim Mixen ist klar geworden, dass dies nicht die richtige Wahl war, es fehlte der Zusammenhalt, das Leben. Es wurde beschlossen, erneut aufzunehmen und die Lieder von Bruno Coulais wegzulassen.

josé
José (photo : Anne Marie Casanova)

Paul Giansily : Um sich später der Aufnahme von Brunos Musik zu widmen. Das schien uns viel besser zu passen, als zwei Stücke zu integrieren, die ein wenig herausfallen, wie ein Haar in der Suppe.

JC : Es ist ein bisschen wie beim Konzert: man liebt diese Lieder, aber nach den Passionsliedern gibt es immer einen Übergang, eine Art Nachlassen...

Paul :  Ebenso in der Qualität, wie in der Spannung.

JC : Ich würde nicht sagen, in der Qualität, im Gegenteil, es ist ein Teil, den das Publikum sogar fast noch mehr mag; danach ist der Applaus am stärksten. Dieser Teil des Konzertes gibt vielleicht eine zusätzliche Dynamik, aber er schafft einen Bruch in der Tonart. Ich bevorzuge ein homogeneres  Konzert. Aber in der Tat, das Publikum kommt häufig in Fahrt nach Le lac.

José : So empfinden wir das auch. Man ist konzentriert von Anfang bis Ende, aber wenn man die Lieder von Bruno aufgreift, dann wirkt das nicht wie ein Nachlassen, sondern wie eine Erholungspause.

JC : Letzten Endes gibt es auf Bracanà nur zwei neue Kreationen, 1901 und Treblinka, und dennoch, selbst wenn man die Lieder des Via Crucis  kannte, spürt man doch eine große Veränderung auf dieser CD. Ich weiß nicht, woran das liegt.

Paul : Ganz einfach, weil nichts fixiert worden ist.

JC : Ja, aber ich hatte sie schon mehrmals gehört, und ich habe den Eindruck, dass ihr noch eine weitere Stufe in eurer Entwicklung erreicht habt.

José : Wie Paul sagt, es ist so, weil die Lieder nicht festgehalten wurden. Auf dem Niveau des Geschriebenen sind sie nicht schwieriger als die vorangegangenen. Man findet keinen Unterschied.

Jean :  Ich bin etwas einverstanden, mit dem, was du sagst. Auch wenn die Lieder nicht fixiert oder auf einer CD festgehalten waren, ab dem Zeitpunkt, wo du sie zum ersten Mal gehört hast, haben sie sich weiterentwickelt, und wir auch.

José : Es ist dasselbe mit den Chören von Medea. Im Jahr 1997 waren sie sehr unterschiedlich gegenüber heute.

L'Invitu

JC: Richtig, warum habt ihr nochmals einen Auszug aus L’Invitu aufgenommen?

Paul :  Wir waren nicht vollkommen von der Aufnahme Medeas überzeugt. Wir sind nicht sehr zufrieden. Die Tonaufnahme, auch unsere Interpretation, sehr gepresst, überzeugt uns überhaupt nicht. Wir denken sogar an eine Neuaufnahme.

Jean :  Ich persönlich bin der Auffassung, dass es unser Hauptwerk ist. Es stört mich gar nicht, dass man  Bruchstücke in verschiedenen Alben findet, wie in Intantu.

Paul :  Es stellt unseren Weg der letzten zehn Jahre dar, es hatte ganz sicher seinen Platz auf der Platte.

JC : Das war keine Kritik, im Gegenteil! Übrigens, beim letzten Konzert im Européen fand ich, dass vielleicht die Tatsache, nur einen Auszug zu haben, ihm mehr Ausdruckskraft gegeben hat.

Paul : Das fordert so viel Einsatz, so viel Energie...

Lode à une simpatica zitella

Laurent: Eine Frage zu der Monodie von Jean-Luc seine Mutter betreffend, die von einem Dichter für seine Mutter geschrieben wurde. Welche Gefühle hat er, wenn er es singt?

Paul :  Es kein Lied, das für seine Mutter kreiert wurde, es ist ein Lied, das Pampasgiolu wieder aufgegriffen und für seine Mutter gesungen hat. Für Jean-Luc ist es persönlich; ich kann nicht für ihn antworten. Ich nehme an, wenn er gewünscht hat, es aufzunehmen, dann war es in seinen Augen wichtig.

José : Jean-Luc ist jemand, der in diesem Milieu lebte, mit Dichtern, sein Vater sang ...

laurent
Laurent, Jean, Paul und José

JC : Hat er noch viele Monodien in Reserve?

Paul :  Ja. Seine Mutter nahm viele Sänger auf. Es gibt die Originalversionen gesungen von Pampasgiolu. Sie kamen damals zusammen.

 

Treblinka

JC : Treblinka wurde in sehr kurzer Zeit komponiert, wie ihr mir in unseren Gesprächen gesagt hattet.

José : Es ist hier im Carubbu komponiert worden, sehr schnell.

JC : Die Melodie, glaube ich gern. Aber alles, was ihr dazu getan habt, der Beitrag von jedem?

José : Die Worte sind von Jean-Yves Acquaviva. Eines Tages kommt Jean-Claude und sagt: ich habe vielleicht ein Thema zu diesem Lied. Es setzte sich ans Klavier, begann das Thema zu spielen. Wir haben uns um das Klavier versammelt, jeder hat etwas beigetragen, man dachte an einen ununterbrochenen Bass...

JC : Ja, das Summen! Es ist eine Neuerung, einmalig in dem, was ihr macht, nicht?

Jean :  Es ist mit geschlossenem Mund.

JC : Wer singt es übrigens?

José : Max macht die tiefste Stimme, Jean, Ceccè und ich machen einen Summton. Ceccè wechselt zwischen Summen und einer anderen Stimme. Und es ist Jean-Luc, der die Dissonanzen in der vorletzten Strophe macht.

Jean :  An einem bestimmten Zeitpunkt verändert man alles. Du änderst dich nicht?

José : Eu, ùn cambiu micca. Ich wechsele am Ende in eine höhere Stimme, in die Oktave des Basstons. Aber es stimmt, dass es in 2-3 Tagen kreiert wurde. Wir suchten einen zusätzlichen Titel.

JC : Und habt ihr danach gearbeitet ?

José : Nein, es wurde sehr schnell festgelegt. Technisch ist es nicht so schwierig. Zumindest ist es nicht schwer zu platzieren.

JC : Es gibt tatsächlich Lieder, wo man 7 verschiedene Stimmen hat, wie das Benedictus.

José : Du hast das Benedictus, das Dies Irae, wo es wirklich 7 getrennte Stimmen gibt. Danach variiert der Gesang gemäß dem Konzert wie die anderen Lieder, aber es ist nicht schwierig. Es ist mehr oder weniger richtig oder falsch...

Die Religion

Laurent: A propos Beati, ist es direkt aus der Bibel entnommen?

Paul : Ja, die Seligpreisungen. Es ist nicht vollständig, aber es ist aus den Seligpreisungen.

Laurent:  Eure Quelle der Inspiration für den Kreuzweg ist in erster Linie die Bibel? Gibt es noch andere Quellen?

Paul :  U Sipolcru, das wir wieder in Angriff genommen haben, und U cantu di l’acqua sind Kompositionen von Jean-Claude. Alle anderen Werke basieren auf liturgischen Texten.

Jean : Ihr seid Gläubige, Praktizierende? Denn hier habt ihr die Ungläubigen der Gruppe!

Paul :  Man folgt der Philosophie, man versucht, sie zu leben, aber alles, was man uns erzählt...

José : Die katholische Religion ist ein Teil unserer Kultur. Man überwindet die Religion, aber man hat die Grundlage, die Bildung, selbst unbewusst. Man hat darin gelebt.

Paul :  Es gibt Leute, die uns nach den Konzerten fragen: "Welchem Orden gehört ihr an? Ihr müsst sehr gläubig sein! ". Tatsächlich ist es die Philosophie, der wir beipflichten, aber das wäre dasselbe bei einer anderen Religion: die Achtung vor dem Anderen....

trio
Jean, Paul et José


Die Arbeit der Gruppe

JC: Habt ihr Euch gewandelt bei Eurer Arbeitsweise, insbesondere der Bearbeitung der Lieder? Bei einem Konzert habt ihr vor kurzem U Lamentu di Ghjesù und neue Kompositionen gesungen. Nun finde ich, dass es eine Kluft gibt zwischen dem Traditionellen und dem, was ihr jetzt macht. Gibt es Unterschiede in eurer Art an sie heranzugehen?  

José : Ich sage Dir, und sei es ein traditionelles Lied, das wir seit 20 oder 30 Jahren singen, für mich gibt es keinen Unterschied. Jede Note ist ein ständiger Kampf. Selbst ein Lied, das man gewohnt ist zu singen, wenn du ein wenig nachlässt, fällst du daneben...

JC : Ich meinte nicht so sehr auf der Ebene des Ausdrucks, sondern eher auf der Ebene der Technik, der Arbeit mit der einzelnen Stimme...

José : Nein, und das hat sich jedes Mal bestätigt: sei es eine neuere Kreation oder ein Lied, dass man seit 30 Jahren singt, wenn du es laufen lässt, und sei es nur ein bisschen, wenn du sagst: "es ist bekannt", kann man einen Reinfall erleben, selbst wenn es keine Technik benötigt. Jedes Mal hat es sich bewahrheitet. Eines unserer ersten Konzerte in diesem Jahr in Calvi war eine Katastrophe. Weil man sich gesagt hat: Es sind Lieder, die beginnen, eingeübt zu sein, und dann, nichts. Wir haben Sumiglia völlig verstümmelt, weil man ein Lied immer wieder neu bearbeiten muss. Deshalb entwickeln sich die Lieder weiter. Die Lieder von Medea, das Dies Irae, Benedictus, Treblinka, werden in 2-3 Jahren anders gesungen werden.

Paul : Und das Dazukommen von neuen Sängern hat bewirkt, dass unsere Technik sich verändert.

José : Wir waren es gewohnt, den ununterbrochenen Bass du dritt zu machen, Jean, Max und ich. Als Ceccè dazukam, hat uns der Beitrag einer neuen Stimme destabilisiert. Wir konnten unser Gleichgewicht nicht mehr finden. Es war eine gewisse Zeit nötig, diese Stimme zu integrieren, bis man sich daran gewöhnt hatte, zu viert zu singen.

JC : Wir kannten euch weniger gut in der Zeit, aber als Jean-Luc dazugekommen ist, stelle ich mir vor, dass das ebenso den Platz von Paul in der Gruppe verändert hat?

José : Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht.

Jean : Paul ist praktisch die einzige hohe Stimme geblieben. Er sang sehr wenig seconda, am häufigsten terza, und es ist so geblieben. Paul ist die höchste Stimme, und von Zeit zu Zeit Jean-Claude, aber nicht Jean-Luc. Jean-Luc singt mehr seconda.

José : Paul, hat das Hinzukommen von Jean-Luc dich beeinträchtigt?

JC : Nein, ich habe nicht gesagt beeinträchtigt, sondern die Art verändert dich zu platzieren?

Paul :  Ja, es hat meine Art zu singen sehr verändert.

JC : Ich muss sagen, dass man zu dieser Zeit, damals kannten wir euch viel weniger, und die Aufnahmen waren weniger sorgfältig ausgeführt, mehr Schwierigkeiten hatte, die Stimmen zu identifizieren...

José : Das hängt zusammen mit der Schreibweise. Wenn du sieben verschiedene Stimmen ohne führende Stimme hast, wie in Benedictus oder Dies Irae, hörst du selbstverständlich zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Stimmen.

Jean-Paul : Und auch häufiges Hören, macht aufmerksamer für jede Stimme.

Paul :  Und wir sangen nicht alles zur gleichen Zeit; die Bässe wurden verdoppelt.

AM : Und wie hast du deine Art zu singen geändert?

Paul :  Meine Stimme hat sich verfeinert. Wenn ich die Aufnahmen bis Passione nehme, so ist es eine andere Art, meine Stimme zu platzieren.

José : Das steht aber nicht im Zusammenhang mit der Ankunft von Jean-Luc.

Paul :  Und auch seine Art zu singen hat mich beeinflusst.

Jean :  Jean-Luc hat eine sehr schöne Stimme, aber es dauerte geraume Zeit, bevor er seine Position gefunden hatte, länger als bei Ceccè.

Jean :  Es gab die fünf, die die ganze Zeit da waren, und als Jean-Luc sang, hörtest du Jean Luc und die anderen. Es war offenkundig. Es hat wirklich viel Zeit beansprucht, bevor man einen Zusammenhalt erreichte.

José : Es brauchte Zeit um zu reifen.

Jean : Wir haben ihm viel beigebracht!

José : Vor allem Paul. Paul hat eine wunderschöne Stimme, und ich sage ihm immer, wenn ich eine Stimme hätte wie er, würde ich eine Solokarriere machen.

JC : Ihr alle. Im Übrigen kann man jeden von euch gut hören auf Si di mè.

José : Es gibt mehr oder weniger schöne Stimmen, um allein singen zu können. Jean-Luc und Paul haben eine schöne Stimme, die anderen...

JC : Aber ja! Warum, glaubst du, haben sich unsere Freunde dafür entschieden, sich „Tra noi" zu nennen?

José : Am wichtigsten ist die Tatsache zusammen zu singen, ein gewisses Gleichgewicht zwischen uns zu finden. Man hat nie jemand engagiert, weil er eine schöne Stimme hatte. Das war nie ein Kriterium für die Aufnahme.

JC : Es ist sogar das Gegenteil aufgetreten ist, nicht? Einige sind gegangen, obwohl sie eine sehr schöne Stimme hatten!

José : Genau.

Paul : Selbst wenn man sich gut versteht, es ist ihnen aber nicht gelungen, sich in die Gruppe einzugliedern, ihren Platz zu finden. Sie haben es selbst gespürt.

José : Das Leben eines Paares ist schon hart, und das Leben in der Gruppe mit 6 anderen, das ist multipliziert mit 7! Jeder hat seine Sicht der Dinge, seine Persönlichkeit, es hängt von Feinheiten ab...

Laurent :  Wie verläuft es in der Probe, wenn ihr nicht einig seid?

José : Das geschieht manchmal, man sagt nichts, aber man spürt, dass es nicht geht, man muss darüber sprechen, man schnauzt sich an, man fängt von vorn an und es geht weiter. Man muss da durchgehen.

suzan
José, Suzan und Jean-Claude

Cuntrastu

Laurent:  Warum habt ihr bei Cuntrastu nur die Stimme von Jean-Luc ausgewählt und nicht Jean-Luc und eine andere Stimme, um das Spiel zwischen Mann und Frau zu verstärken?

Jean :  Es wurde die Möglichkeit erwogen, das zu machen, entweder mit Paul oder mit Jean-Claude, und man hat die Idee aufgegeben. Wir waren ein wenig in Zeitdruck, und es schien uns passender, die Stimme von Jean Luc vorerst zu lassen, aber wir haben darüber nachgedacht.

José : Außerdem ist Jean Luc wirklich darin aufgegangen; er war am besten geeignet.

Jean : Das nächste Mal ... Es stimmt, dass das Lied sich dafür gut eignen würde, es hätte mir gefallen, es wäre interessant gewesen. Das wird auf einer anderen CD sein. Anfangs wollte man nur eine Monodie haben, dann haben wir beschlossen, zwei zu nehmen, wir wurden durch die Zeit gedrängt. Aber es ist eine Idee, auf die man zurückkommen sollte.

Tradition und Kreation

JC : Habt ihr vor, eines Tages bei Konzerten nur noch Neukompositionen und kein einziges  traditionelles Lied mehr zu singen, oder beabsichtigt ihr, eine Verbindung mit der Tradition zu bewahren?

José : Wir sind nicht davon entfernt. Wenn du die Paghjella und die Monodie wegnimmst, ist es soweit!

Jean : Wir denken nicht wirklich daran, aber es gibt keine Tabus.

Paul :  Wir wollen es nicht, wir haben nicht den Wunsch die traditionellen Lieder wegzulassen, weil man sie braucht. Sie haben ihre Daseinsberechtigung, es ist ein bisschen wie eine Initiation, um zu zeigen, woher man kommt und bis wohin man gehen möchte.

Jean :  Und einige unserer Lieder, die etwas älter sind, sind fast traditionell. Außerdem sind einige Lieder, die man als traditionell ansieht, wie die Messe von Sermanu, nicht so alt. Das Tantum Ergo wurde im Jahr 1957 komponiert. Heute ist ein Teil der Tradition. Die Fanatiker werden einen solchen Anspruch erheben. Und die Tradition ist etwas, das fortbesteht, das sich weiterentwickelt.

Laurent : Letzte Frage zu Bracanà: Treblinka. Von wann stammt der Text von Jean-Yves?

Paul :  Ich glaube nicht, dass er sehr alt ist.

 

Die Projekte

JC: Wir werden auf die Lieder zurückkommen, aber kommen wir zu euren Vorhaben.

Jean, Paul und José : Valérie !

Valérie : Ihr kennt eure Projekte nicht?

Jean :  Morgen singen wir mit Daniele di Bonaventura, zwei oder drei Lieder, die wir mit ihm schon  für Culomba gemacht haben.

JC : Ist etwas mit Paolo Fresu vorgesehen?

José : Ein Projekt, das sich vom dem unterscheidet, was wir schon gemacht haben, eine gemeinsame Arbeit mit ihm und Daniele, im nächsten Frühjahr.

JC : Ich persönlich finde, dass es Dinge gibt, die sehr gut funktionieren, andere etwas weniger.

Jean :  Zum Beispiel ?

JC : Liberata, daran erinnere ich mich sehr gern, Himalaya, auch Le Lac. Rex hingegen, da ist die Mischung schwieriger. Die Meinungen waren geteilt im Publikum. Es ist auch eine Tatsache, dass man so sehr daran gewöhnt ist, eure Lieder a cappella zu hören, dass sie mit Instrumenten zu hören, fast schon ein Sakrileg ist...

Danyel Waro?

Paul : Es wird ein Treffen, keine Kreation. Jean-Claude hat an den Arrangements von 5 Liedern gearbeitet, er an zwei oder drei Liedern.

JC : Man müsste sie bei den Rencontres, danach in Montreuil sehen?

Paul : Ja. Wir möchten auch möglichst bald das Requiem aufnehmen, um es im nächsten Jahr herauszubringen.

JC : Arbeitet ihr derzeit an neuen Werken?

Paul :  Nein. Es gibt ein Projekt im Anfangsstadium von La Grammaire de l’imagination, noch nichts Genaues. Es wird möglicherweise eine große Überraschung.

Jean :  Zurzeit haben wir eine Reihe von Dingen zu fixieren, zu festigen, also momentan keine neuen Kreationen. Aber es wird eine Arbeit mit Paolo Fresu geben, das wird von Jean-Claude eine große schöpferische Arbeit verlangen. Es ist für das kommende Frühjahr vorgesehen, also man muss jetzt daran denken.

JC : Und die Arbeit mit den Texten von Ghjuvan-Teramu Rocchi?

Paul :  Ja, das war eine Möglichkeit, aber es gibt vorerst nichts Konkretes.
Es gibt derartig viele Dinge ... Wir müssen schon unsere Projekte zu Ende bringen und dieses Repertoire am Leben erhalten. Es ist wie mit dem Requiem: Es ist schwierig, dieses Repertoire leben zu lassen, ihm eine Fortdauer zu geben, es zum Laufen zu bringen, das ist extrem kompliziert. Mit Danyel Waro wird man vielleicht zwei Konzerte machen und das wird dort enden. Oder wenn er Lust hat weiter zu machen, gibt es eine Fortsetzung.

Jean :  Aber das bedarf weniger Arbeit. Das ist leichter.

Eine Live-Aufnahme?


JC : Was wir gern hätten, wäre eine Live-CD oder DVD. In dieser Hinsicht ist die neueste CD sehr gut aufgenommen, es ist fast live. Aber oft hat die Platte eine kältere Atmosphäre als ein Konzert. Was denkt ihr?

Paul :  Es ist sehr schwierig, das erfordert große Mittel, einen Toningenieur. Die Akustik ist unterschiedlich, je nachdem man in einem Saal oder einer Kirche ist, usw...

Jean :  Wir haben es oft daran gedacht bei einer Veranstaltung wie Medea.

Paul :  Wir sind schon selten zufrieden mit unseren Aufnahmen, dann etwas live...

Jean :  Es ist fixiert. Der Fehler, wenn er dort ist, er bleibt!

Laurent:  Singt ihr lieber vor Publikum oder um Sachen für eine CD zu machen?

Paul :  Beides ist wichtig. Aber Spuren zu hinterlassen ist nicht entscheidend, am wichtigsten ist die Begegnung mit dem Publikum. Das ist das Wesentliche. Die klassischen Musiker haben niemals aufgenommen...
Man ist oft zufriedener mit den Erinnerungen an Begegnungen, als mit den Platten.

Jean :  Die CDs vergisst man schnell. Man hört sie selten noch mal.

JC : Die ersten, hört ihr sie noch manchmal an?

Paul :  Nein !

Jean : Es gibt eine, Una tarra ci hè, die ich mir mit Freude anhöre.

JC : Wir auch. Das ist eine unserer liebsten von den Älteren.

Paul : Man ist immer kritisch, man kann sie nicht hören, als wäre es eine Platte von jemand anderem.

JC : Richtig, welche andere Musik hört ihr?

Paul :  Von allem. Alle Stile: Unterhaltungsmusik, Klassik, Rock, Hard Rock. Auch gern Unterhaltungsmusik von vor 20-30 Jahren, klassische Musik, Musik aus der ganzen Welt ....

Jean :  Ich fast das gleiche, weniger Unterhaltungsmusik als Paul. Auf Tournee weiß man auf jeden Fall, was er hört, er singt! Es ist recht vielseitig in ihrer Auswahl. Früher hörte ich viel traditionelle Musik, jetzt mehr Klassik. Ich hatte auch meine Hardrock-Phase, mein Sohn spielt es, ich liebe Rock. Man ist offen für alle Musik.

JC : Und Jazz ?

Jean :  Es gibt sehr wenige Liebhaber des Jazz in der Gruppe

José : Ich bin kein großer Fan….

JC : Und dennoch habt ihr in eurer Phrasierung etwas von Jazz.

José : Mein einziges Jazzkonzert, das ich mochte, war während unseres zweiten Aufenthalts in Georgien, mit Michel Petrucciani, und das habe ich genossen.

Jean : Das ist nicht Teil unseres Universums. Und dennoch war einer der ersten Künstler, mit denen wir zusammenarbeiteten, Jean-Louis Longnon. Vielleicht kennt man ihn nicht genug, das ist schade.

JC : Dann musste euer Treffen mit Jaume und Fresu ein Schock sein?

José : Nein, das war ganz natürlich, ohne jegliche Schwierigkeiten.

Jean : Es war ein Schock, aber im guten Sinne des Wortes: Ein der Schock der Freude an der Begegnung, nicht ein Schock der Stile, die aufeinander trafen. Es gab keine Konfrontation.
In der Tat gibt es möglicherweise etwas zu finden. Anscheinend erfolgt das, ohne das man es sucht, es ist ganz natürlich eingetreten, in völlig natürlicher Art und Weise mit Paolo Fresu und Daniele di Bonaventura, der kein Jazzmusiker ist, ihn aber spielt.

Anne Marie : Nichts mit Bruno Coulais ?

Paul : Nein, nichts Genaues zu diesem Zeitpunkt.

AM : Und das Theater mit Orlando? 

Jean :  Eine Wiederaufnahme der Medea, die ihr im Oratorium gesehen habt. Ein kleines Interreg-Projekt, das gefällt Valérie!

Korsika und seine Musik
Suzan: Welche Art von Musik sollte man hören, um Korsika zu entdecken?

(Paul, Jean und José brechen in Gelächter aus)

Paul :  Es ist nicht nötig, sich die Ohren mit Musik vollzustopfen: schauen, hören, fühlen.... Das wird vielleicht etliche Gefühle hervorrufen und erweckt danach möglicherweise Lust, Musik zu hören.

Jean :  Du erwartest, dass wir über andere Musik sprechen, als die von A Filetta? Das ist schwierig!

Paul :  Neulich hörte meine Tochter Thomas Dutronc, und sie sagte: "Das ist keine korsische Platte, aber es ist eine gute Platte, um Korsika zu entdecken."

Jean :  Ich mag Ange Lanzalavi sehr, eine gute Musik.

José : Und es gibt die Brüder Vincenti.

Jean :  Das ist mehr für Korsen, als für jemanden, der herkommt, um Korsika kennen zu lernen.... Es ist sehr schön, aber ... Nein, ich glaube, es ist A Filetta! (er lacht) Alle Gruppen bringen etwas. I Muvrini, Canta u Populu Corsu, einige Polyphoniegruppen ...

jpj
Laurent, Joëlle, Jean-Paul und Jean


Das Schreiben 

Laurent : Jean-Claude ermutigte die anderen Mitglieder zu schreiben. Wie weit bist du dabei?

Paul :  Ich versuche, das Alphabet zu lernen, ich habe mit dem Ausmalen begonnen!

José : Man wagt nicht, sich hineinzustürzen.

Jean :  José hat einige Stücke am Computer geschrieben.

José : Nein, ich habe es nicht gewagt.

Jean :  Das ist schade, er hat Sachverstand.

José : Ich hatte für Sonnii zitellini komponiert.

Die Filmmusiken
J.P : Und Max and Co?

José :  Es ist herausgekommen, aber wir spielen nur eine geringe Rolle. Wie so oft mit der Filmmusik nimmt man viel auf und es gibt viele Schnitte. Der Film ist zur gleichen Zeit herausgekommen wie Asterix, und ich weiß nicht, ob das gelaufen ist.

J.P : Marco Polo wurde niemals aufgenommen.

José : Wir bringen zwei Lieder von Marco Polo im Konzert.

Jean :  Sie werden vielleicht Teil einer CD sein.

Paul :  Und die Lieder von Vidocq. Es gibt Material um eine CD zu machen.

J.C :  Ich fände es gut, wenn ihr Himalaya ohne Orchester aufnehmen würdet.

Laurent: Apropos Don Juan, habt ihr den Film gesehen? Hat er euch gefallen?

Jean :  Ja.

Paul :  Er hat Längen, das ist sicher.

José :  Der Soundtrack war neu für mich.

JC : Für mich ist Himalaya der am meisten gelungene Film, in Hinblick auf die Abstimmung von Musik und Bild.

José :  Bei Le peuple migrateur gab es viel mehr Musik, und das wurde geschnitten. Der Produzent hat eine Menge Musik herausgenommen, sie hatten Angst, dass die Musik die Bilder überflügelt.

Abschluss

Laurent: Julien hat eine Bitte: könnt ihr etwas für ihn singen?

Und unsere Freunde stimmen einige strophen von Lettera à Mamma, zu Julians großer Freude und auch unserer eigenen...

julien
Julien, wahrscheinlich der jüngste Fan A Filettas !

Übersetzung : Ursula Glöckner

Der Bericht unseres Besuch im Carubbu ist ebenfalls zu lesen auf der Website unserer Freunde von Tra Noi. 
 



hommes
 


Jean-Claude Acquaviva

"Mehr sein, als man uns erlaubt zu sein"
("Corsica", Mai 2008)

A Filetta ist ein Wunder. In dreißig Jahren einer Karriere, die gern Abkürzungen nutzt, ist der Formation aus der Balagne das Kunststück gelungen, Erfolg beim Publikum, Anerkennung der Kritik und musikalische Exzellenz zu vereinen, auf Korsika und anderswo. Jean-Claude Acquaviva, charismatischer und kompromissloser Leiter A Filettas, öffnet uns die Türen zu dieser Gruppe, die ist wie keine andere .

Dreißig Jahre Karriere, feiert man das?

Wir haben uns die Frage gestellt, haben über eine außergewöhnliche Veranstaltung nachgedacht, ein Konzert, zu dem man alle hätte aufrufen können, die im Laufe der Jahrzehnte an dem Abenteuer A Filetta teilgenommen haben. Aber wir haben darauf verzichtet. Die Gruppe ist so mit ihren Aktivitäten in Anspruch genommen, die laufenden Projekte brauchen so viel Energie, dass wir nicht die Zeit gefunden hätten, all das würdig zu organisieren, und wir wollten vor allem dem Publikum nichts Hingeschludertes bieten. Das ist sicher ein wenig traurig, aber das Leben geht weiter, und die Gruppe kommt voran.

jca

Also auch keine Bilanz?  
Eines ist sicher, diese dreißig Jahre sind mit einer unglaublichen Geschwindigkeit vergangen. Wir sagen oft auf der Bühne, ohne Demagogie, dass wir zu keinem Zeitpunkt das Gefühl haben, dass sich Routine eingestellt hat. Für uns ist jedes Konzert ein Abenteuer, sogar ein Kampf. A Filetta ist ein wenig in der Situation eines Bergsteigers, der alle Gipfel der Welt erklimmen könnte. Es gibt immer noch einen anderen zu besteigen. Wir sind ständig auf der Suche nach einer Ausgewogenheit, die oft erreichbar scheint, sich aber immer wieder entzieht.

Aber was bleibt bei einer so großartigen Karriere noch zu tun?
Alles bleibt zu tun. Ich möchte zum Beispiel ein philharmonisches Repertoire entwickeln. Wir haben auch Lust, einen Trickfilm für Kinder herauszubringen. Und dann wollen wir auch die Begegnungen mit der Musik anderswo fortsetzen. Falls man uns morgen zu einem Konzert in den Tempeln von Angkor oder auf Grönland einlädt, brechen wir auf ohne darüber nachzudenken. Die Grenzen verschieben, Dinge unter außergewöhnlichen Bedingungen zu tun, das ist immer spannend.

Man hat den Eindruck, dass die Karriere A Filettas aus zwei verschiedenen Teilen besteht...
In der Tat. Anfangs haben wir uns entwickelt, machten Platten, aber mehr oder weniger dilettantisch. Im Jahr 1994 hat sich alles geändert. Angesichts der Möglichkeiten, die sich als Folge unserer Verfügbarkeit böten, entschieden wir uns, Berufsmusiker zu werden, und dabei unseren Neigungen freien Lauf zu lassen. Dann ging alles sehr schnell. Und wenn ich auf unseren Weg seit dieser Zeit zurückblicke, sage ich mir, dass wir etwas Außergewöhnliches realisiert haben.

Hat diese Entwicklung Sie überrascht?
Ich denke, dass es so lange fortdauert, kommt daher, weil wir nie etwas geplant haben. Auch heute noch beschäftige ich mich nicht mit der Zukunft. Alles ist eine Sache der Begegnungen, des künstlerischen Herzschlags, der Anfragen. Ich habe keine Ahnung, was wir in zwei Jahren machen werden. Die Planung einer Karriere erfordert Zugeständnisse, Berechnung, die Einsetzung einer Strategie. Nichts für mich.

Was die Beziehungen zu den Plattenfirmen nicht erleichtert ...
Wir haben mit einem Dutzend Plattenfirmen gearbeitet; es ist immer schief gegangen. Ich möchte nicht, dass man mir sagt: "schlage diesen Weg ein, du wirst viele Leute ansprechen". Wenn dies bedeutet, meine tiefen künstlerischen und menschlichen Überzeugungen zu durchkreuzen, dann kommt es nicht infrage. Virgin, die letzte, war bereit, große Mittel für uns einzusetzen, wollte aber, dass wir Duette mit Axelle Red oder Souchon machen sollten. Es steht außer Frage, dass ich zu Axelle Red gehe und zu ihr sage, "komm, sing mit mir, damit wir ein paar Platten mehr verkaufen". Das ist unwürdig! Heute ist es ziemlich schwierig, eine Plattenfirma zu finden, und paradoxerweise sind wir überall ausgebucht, wo wir hinkommen. Was uns letztendlich sehr überzeugt. Natürlich haben wir nicht den Bekanntheitsgrad für die 20 Uhr Nachrichten, aber wir besuchen außergewöhnliche Länder, bereichern uns menschlich, und es sind die Momente der Emotion, der Teilhaftigkeit, die unbezahlbar im Leben eines Menschen sind.

A Filetta ist in vielen Musikstilen zu Hause. Gibt es einen, den Sie bevorzugen?
Für mich gibt es keine mehr oder weniger edle Musik. Es gibt Lieder von Léo Ferré, die Denkmäler sind. Aber nichts ist schöner, als sich nicht auf ein Format zu beschränken, sich nicht die Frage nach dem Wohlwollen des Publikums zu stellen, sich nicht zu fragen, ob es sich langweilt. Diese Art von Erwägungen überfüttern mich. Man muss Vertrauen zum Publikum haben. Wenn man ihm viele formatierte Sachen gibt, wird es am Ende damit zufrieden sein. Es macht mir ebensoviel Lust ein Lied von drei Minuten zu schreiben, wie einen Chor von zwanzig Minuten oder ein Requiem. Doch sowie der Trend zu kurzer Musik geht, habe ich Freude, das Gegenteil zu tun.

Durch Ihre Genauigkeit bei der Arbeit und in Ihren Leistungen haben Sie sich immer von allen Produktionen der Insel abgesetzt.
In dieser Materie, denke ich, gibt es auf Korsika eine Verwirrung der Genres. Der italienische Ethno-Musikwissenschaftler Giovanna Marini sagt, dass das Volkslied anfangs die Funktion eines Ritus hatte, beispielsweise beim Pflügen oder bei den Totenzeremonien. Es ist eine Ausdrucksweise, die die Momente des Lebens begleitet. Die Bühne ist eine andere Sache. Dies umso mehr, weil man ein Publikum gegenüber hat, das Eintritt bezahlt. Plötzlich ist man nicht mehr in dem Augenblick, im Spontanen. Man ist auf der Suche nach künstlerischer Wirksamkeit, deren Konzept völlig ohne Ritus ist. Man ist im Spiegelbild des Ritus, aber nicht mehr im Ritus.

Man macht Ihnen manchmal der Vorwurf in einer wenig verständlichen Sprache zu schreiben ...
Und ich antworte, dass man nicht immer alles bei Pessoa, Mallarmé oder Aragon versteht. Was ich sagen will ist, dass jeder seinen Code hat, seine Art Dinge zu schreiben, die in ihm widerhallen und sehr machtvoll sind. Ich bin ein Liebhaber von René Char, aber er ist nicht immer einfach zu verstehen, sogar nicht einzukreisen. Dennoch ist es eine fantastische Sprache, eine Explosion von Farben und Gefühlen. Ich selbst bin voller Bewunderung, wenn ich die Gedichte von Filippini lese, sie sind herrlich, und es berührt mich umso mehr, weil ich weit davon entfernt bin, die Sprache so zu handhaben wie er. Es ist aber nicht so, dass ich ein Versager bin oder dass die Sprache, die ich benutze, kein Interesse verdient. Mir scheint, man muss unbedingt zwischen der pädagogischen Arbeit und dem künstlerischen Werk unterscheiden. Das Künstlerische darf keine pädagogische Rolle haben. Man muss sich bei der Kunst nicht die Frage stellen, ob man immer verstanden wird.

Eine weitere auffallende Charakteristik von A Filetta ist das Fehlen von Nostalgie, die einen großen Teil der korsischen Künstler beseelt...
Die Nostalgie ist eine schiefe Form der Erinnerung. Man entnimmt etwas aus seinem Kontext, wir wollen nur im Gedächtnis behalten, was uns gut erscheint. Dies drückt eine totale Unfähigkeit aus, in der Gegenwart zu bleiben. Und auf dem Gebiet des Gesangs ist es dasselbe. Mit dem Risiko zu erstarren, die Gefahr zu legitimieren, die in jeder Form der Öffnung liegen könnte. Es ist vernünftig, dass es Leute gibt, die als Wächter fungieren, aber das schließt nicht aus, dass es andere gibt, die die Tradition erschüttern. Ich bin traurig, wenn ich Leute sagen höre, dass man an nichts rühren darf, weil unsere Alten es uns so hinterlassen haben. Das widerspricht aller Dynamik des Lebens.

Was halten Sie von der Fülle korsischer Sänger und Gruppen?
Man darf die Leute, die etwas ausdrücken wollen, nicht hindern es zu tun. Deswegen ist es ein echtes Problem, dass niemand eine qualitative Unterscheidung zwischen den Gruppen macht. Es ist ein schlechter Dienst an den Künstlern, sie alle auf die gleiche Ebene zu stellen. Man muss eine Auswahl treffen, seien es die Radio- und Fernsehprogrammgestalter oder die Menschen, die durch ihre Zuschüsse einen großen Teil der Produktion unterstützen. Man kann nicht ständig sagen, dass alles gut ist, denn wenn alles gut wäre, wäre nichts gut. Nirgendwo funktioniert dies so. Das ist kein elitäres Gerede. Ich sage nicht, dass man die Schlechten aussortieren sollte. Unsere ersten Platten waren musikalisch Katastrophen. Und wenn man uns nicht die Zeit zur Entwicklung gelassen hätte, wären wir heute ohne Zweifel nicht mehr da. Aus diesem Grund müsste es ab der ersten CD einer Gruppe von Leuten geben, die ihre ehrliche Meinung sagen. Das ist der einzige Weg Fortschritte zu machen.

Auf Korsika gibt es also keine Kritik?
Entweder man sagt nicht viel, um nichts zu sagen, was kränken könnte, oder man verfällt in überschwängliche Äußerungen, sobald der Künstler ein wenig bekannt ist. Es ist umso peinlicher, dass man uns beweihräuchert, wenn wir Scheiße gemacht haben, aber als Revanche ohne Grund die niedermacht, die von außerhalb kommen. Ich leide, wenn ich die Berichte von Journalisten lese, die zu einer Aufführung gekommen - oder nicht gekommen - sind, und einen Kommentar schreiben, wo sie sich damit begnügen, uns die Pressemitteilung wieder aufzutischen. Ich glaube, alle würden durch ein wenig Ehrlichkeit und Kritik gewinnen, auch diejenigen, die das eine oder andere Mal kritisiert werden.

Sébastien Bonifay


Sein, was man verteidigt und nicht verteidigen, was man ist"
(Corse Matin, 2 Februar 2008) Jean-Claude Acquaviva

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Foto : Pierre-Antoine Fournil für Corse Matin

Wie hat sich Ihr Repertoire in 30 Jahren entwickelt?
Unsere Entstehung wurde durch den Riacquistu* getragen und dem Bemühen, aus unserer Geschichte hervorgegangene Dinge zu verbreiten, die verloren gehen würden. Heute werden die Kompositionen in einer natürlichen Kontinuität durch all unsere Treffen angereichert, denen wir im Wesentlichen unser Repertoire verdanken.

(*kulturelle Erneuerungsbewegung auf Korsika in den 70er Jahren)

Und von all diesen Treffen, welches war das, sagen wir, markanteste?
Georgien und der Chor von Tiflis, mit dem wir uns mehrfach zu Beginn der 90er Jahre austauschten. Es gibt zwei georgische Lieder auf unserem neuen Album, und dort wurden korsische Lieder auf Georgisch aufgenommen.

Beleben diese kulturellen Fusionen mit Anderen Ihre eigene Kreativität?
Sogar unbewusst hinterlässt eine bereichernde und ehrliche Begegnung unauslöschliche Eindrücke, und die Einflüsse äußern sich in unseren Worten, unserer Musik, unseren Harmonien.

Was sagen Sie von dem ausländischen Publikum?
Der Empfang ist überall herzlich, denn es gibt keine Länder, die, wegen ihrer Zeitlosigkeit, kein Interesse für die vokale Kunst bekunden und keine Faszination für die Arbeit mit den Stimmen spüren. Diese Mischung von Begeisterung und Neugier ist offenkundiger in Deutschland, Österreich oder Skandinavien, als in den Mittelmeerländern, die etwas weniger empfänglich für diese exotische Form sind, die sie anderswo darstellt.

Auf Korsika wird demnächst ein Zentrum für polyphone Kunst eröffnet?
Sartène, Pigna. Es braucht gleichzeitig kulturelle und finanzielle Mittel, damit es funktionieren wird. Alles, was geeignet ist Eingrenzungen zu beseitigen, ist eine ausgezeichnete Sache. Anders als manche glauben, ist die Protektion nicht die beste Lösung. Man sollte nicht verteidigen, was man ist, sondern sein, was man verteidigt.

Auch wenn der Gesang weniger fordernd geworden ist, fühlen Sie sich immer noch politisch involviert?
Paradoxerweise macht es die Botschaft stärker, die du erteilen willst, wenn du dich von dem Flugblatt-Lied entfernst. Das Mittel, um am besten deine unvergängliche Liebe zu Korsika, seiner Sprache, seiner Literatur, seiner Poesie auszudrücken, ist, deine Musik von Komplexen zu befreien, sie leben zu lassen im Kontakt mit der Musik Anderer. Diesem Veredelungsprozess ein Ende zu setzen ist eine gefährliche Haltung, die zu seiner eigenen Heiligsprechung führt. Und ein Heiligtum verströmt immer einen leichten Todesgeruch.

Ihr Gefühl zu der x-ten Krise, die Korsika momentan durchmacht?
Ein Gefühl, dass der Kopf verkehrt herum ist. Man muss Korsika die Mittel geben, Korsen zu machen und nicht darauf bestehen zu glauben, dass es die Korsen sind, die Korsika eine statische Vorstellung von dem geben, was wir sind. Die Dinge sind in ständiger Bewegung. Ihren Kurs anzuhalten ist eine Illusion, die sehr schwerwiegende Auswirkungen auf dem Gebiet der Ethik haben kann, wie die Ausgrenzung.

Wie kann man das vermeiden?
Indem man verwurzelt ist in der Idee, dass aller Fortschritt nur die Konsequenz von Arbeit, Respekt, Strenge ist und unserer Fähigkeit standzuhalten in der Intelligenz, der Offenheit und dem Dialog. Die Weltgeschichte lehrt uns, dass man nichts durch Gewalt erreicht.

Äußerungen aufgezeichnet von J.M. Raffaelli


Gespräch mit A Filetta im Carubbu

Am 19. September 2006 empfangen uns A Filetta in der Küche des Carubbu zu einem gemeinsamen Mittagessen.

carubbu
U Carubbu
boite
Das Mailbox A Filettas
 

XVIII. Rencontres (Polyphonietreffen in Calvi)

L'invitu (Pierre, Jean-Claude, Pascale und Anne Marie Casanova und Françoise Coulomb)
Zunächst, welche Bilanz ziehen A Filetta aus diesen 18. Rencontres, die gerade zu Ende gehen, was ist eure Meinung zu dem Ablauf, und was möchtet ihr möglicherweise geändert sehen?

Jean-Claude Acquaviva: Es gibt das ein oder andere zu verschiedenen Dingen zu sagen. Meiner Meinung nach waren diese Rencontres hinsichtlich der Programmgestaltung vielleicht eine der besten Ausgaben, insofern als das Programm sehr kohärent war. Wir bedauern natürlich einiges, besonders dass das Finale nicht wie vorgesehen im Freien stattfinden konnte. Wir haben auch etliche Zweifel an dem Konzert in Bastia; nicht an Faiz Ali Faiz, das war riesig, sondern ein Problem mit der Aufführungsstätte.

L'invitu: Wir haben miteinander auch darüber gesprochen und sind der gleichen Meinung.

J.C.A.: Die Räumlichkeiten sind nicht geeignet, aber es sind die einzigen, die in Basta akzeptabel sind. Das Theater kann nicht genutzt werden, es ist geschlossen zu dieser Zeit des Jahres, noch dazu wird es wegen Bauarbeiten nicht zur Verfügung stehen. Das macht die Sache noch schwieriger, selbst wenn man das Theater gern gehabt hätte. Daher haben wir bei Basta Zweifel an der Art, wie es abläuft.


jca

Jean-Claude Acquaviva répond aux questions de L'invitu

Ansonsten muss wieder ein Gleichgewicht zwischen der Polyphonie und den anderen Beiträgen gefunden werden. In diesem Jahr gab es relativ wenig Polyphonien, aber das liegt daran, dass die Polyphonie, in 18 Ausgaben, ich will nicht sagen, die Runde gemacht hat. Aber man hat vieles im Programm gehabt, und wir haben jedes Jahr die Schwierigkeit, Sachen vorzuschlagen, die nicht unbedingt unveröffentlicht sind, aber neu, die etwas bringen.

Es gab schon in der Vergangenheit die Idee, dass es gut wäre, anstatt jedes Jahr die Sorge zu haben, neue Sachen zu suchen, wenn die Rencontres zum Schaufenster von einigen Künstlern würden, denen man in ihrer Entwicklung, auf ihrem Weg folgen könnte. Das würde uns erlauben, einige Künstler wieder ins Programm zu nehmen. Allerdings müssten diese Künstler auch eine Entwicklung durchmachen, das ist das Problem. Leider kamen zum Beispiel die Georgier sieben oder acht Mal, jedes Mal hatten sie das gleiche Repertoire. Und damit ist man irgendwo blockiert.

Also im Großen und Ganzen ist der Besuch gut, ansteigend, abgesehen von Bastia. Die Programmgestaltung scheint mir hinsichtlich des Künstlerischen sehr kohärent, wir hatten sehr schöne Sachen, aber es gibt trotzdem dieses Ungleichgewicht zwischen Polyphonien und Solisten, und es müssten Dinge auf technischer Ebene vereinfacht werden, aber das geschieht gerade durch ein besseres Gleichgewicht zwischen beiden: Es wäre gut, der Idealfall, die Kathedrale und das Oratorium ohne Lautsprecheranlage zu planen, und das, was beschallt werden muss, im Freien stattfinden zu lassen. Und man müsste einen Ort haben, wo man sich im Falle von schlechtem Wetter zurückziehen kann, der für ein Konzert mit Beschallung geeignet ist. Andernfalls ist das nicht machbar.

Und schließlich eine letzte Bemerkung: Im Nachhinein sind wir der Meinung, dass es keine gute Idee war, die Auszüge von Marco Polo im Rahmen des Finale zu bringen: Es war fast ein Theaterstück, eine Inszenierung. Das ist zu schwer, man hat nicht den Kopf dafür, es fehlt die Zeit unter zufrieden stellenden Bedingungen zu arbeiten, und es hat uns das Finale der Rencontres verdorben. Bis zum letzten Moment haben wir geschwankt, es zu machen, es nicht zu machen, es ins Programm zu nehmen oder nicht, es zu proben, eine Gesamtprobe zu machen oder nicht, dann, es zu machen, aber es war keine Zeit mehr, weil noch keine Tonprobe gemacht worden war, denn wenn wir die Tonabstimmung machen, beginnen wir im Oratorium, usw. All das ist zu überdenken...

L'invitu: Aber das ist trotzdem wetterabhängig?

Absolut, man muss vorzeitig den Wetterbericht kennen.

L'invitu: Ja, zwei Jahre in Folge waren gestört durch Schlechtwetter; es besteht das Risiko, das es sich noch vermehren wird. Aber alles überschneidet sich: Wenn es einen Saal gegeben hätte...

Das Problem ist, dass die Wirkung des Finales der Rencontres, zumindest in großen Teilen von dem Ort abhängt. Also, wenn wir wirklich einen Raum außerhalb der Zitadelle hätten, wäre ein Rückzug dorthin möglich, aber es ist sicher, dass das Finale dann nicht mehr so wäre, wie wir es uns gedacht hatten. Aus diesem Grund muss man entweder ein Finale an diesem Ort planen, mit einer Übergangslösung, die irgendeine Notlösung wäre, oder man muss alles neu überdenken, vielleicht einige Dinge opfern, was heißt, „man macht das Finale mit diesem Künstler, man weiß, dass das nicht dort oben durchführbar ist, und ob man Probleme mit dem Wetter riskiert“, in diesem Falle wird es an einen passenden Ort verlegt. Aber das ist nicht mehr das Finale, wie wir es uns vorstellen.

L'invitu: Für uns wären das nicht mehr dieselben Rencontres, weil es Sinn macht, euch alle am Ende wieder zu sehen, und an diesem Ort ist alles zusammenhängend.

Es gibt ein Problem mit dem Wachstum, der Tatsache, dass viele Konzerte voll waren, das Konzert von Medea, der Konzerte um 18 Uhr...

L'invitu: Die Konzerte um 18 Uhr ausverkauft; das ist neu?

Nicht bei den korsischen Gruppen. Natürlich ist es gut, dass die korsischen Gruppen viele Zuhörer haben, dass sie Leute anziehen, aber das bringt zum Ausdruck, dass das hiesige Publikum nicht viel mitverfolgt. Das Publikum, das von außerhalb kommt, ist an der korsischen Polyphonie interessiert, was durchaus legitim ist...

Aber nicht nur das, es ist ein Lernprozeß mit euch, eine Entwicklung...

Tatsache ist, dass die Konzerte mit korsischem Gesang immer ausverkauft waren, auch die um 18 Uhr, und das ist nicht der Fall bei allen Veranstaltungen. Das heißt, auf dem Gebiet der Frequentierung gibt es nicht viel zu sagen, das funktioniert, es gibt eine Bindung, die Leute kommen, das ist sehr gut. Da gebe ich euch wirklich interne Informationen...

Was denken die eingeladenen Künstler darüber, welche Rückmeldung habt ihr von ihnen?

Das ist unterschiedlich: Es gibt Künstler, die kommen und fahren wirklich bereichert durch die Rencontres wieder ab, und dann gibt es welche, die kommen etwas darum herum. Das kann passieren. Es gibt Leute, die das Ganze nicht unbedingt verstehen. Es gab sie in der Vergangenheit und auch in diesem Jahr, denke ich, nicht jeder erlebt die Rencontres auf die gleiche Weise. Es gibt Leute, die sich sagen „gut, dort erlebe ich wirklich eine Gemeinschaft“, es passiert etwas, und es gibt Leute, die kommen, die teilnehmen und wieder abfahren, das ist jedes Jahr so.

Wer wählt die Künstler aus?

In diesem Jahr war es zum großen Teil Valérie, die die Programmgestaltung gemacht hat. Lange Zeit haben wir gearbeitet, indem die einen die anderen angehört haben. Bis Jean-Temir* gekommen ist und gesagt hat „ich hatte einen Kontakt, man muss sich diesen oder jenen Künstler anhören“, man hat sich Platten schicken lassen, usw... Das Problem ist, dass es an einem bestimmten Zeitpunkt eine Zunahme der Aktivitäten gibt, nicht nur für die Rencontres, auch bei U Svegliu im Allgemeinen. Wir von A Filetta spielen bei den Rencontres ein wenig die Rolle des Empfangs, aber keine Rolle bei der Logistik...
(*Jean-Témir Kerefoff ist Präsident von U Svegliu Calvese)


Die Gruppe

Ceccè, wie verlief deine Integration in die Gruppe, und wie siehst du die zusätzliche Mitgliedschaft bei U Fiatu Muntese; ist das nicht zu schwierig?

Ceccè: Nein, es war notwendig, die Konzerte von U Fiatu in diesem Sommer sicherzustellen, das war logisch, aber es hat mich nicht in Schwierigkeiten gebracht.

Und die Integration in diese „alte Gruppe von jungen Leuten“?

C: Mit nur Alten, da weiß man nicht, was man machen soll! (lacht)

Was uns verblüfft ist, dass das Hinzukommen von jemandem so problemlos erscheint….

Max: Wir kennen ihn schon seit langer Zeit.

Ja, und ihr habt ihn eingeschätzt, beurteilt... Als Zuschauer hat man schon immer die Befürchtung, dass etwas klemmt, aber es ist unglaublich, man spürt, dass es eine Harmonie gibt, eine Osmose entsteht.

jca

J.C.: Ich glaube, ohne ihm Blumen senden zu wollen, dass es mit seinem Wesen zusammenhängt. Er ist jemand, der sehr schnell einig mit allen ist, nicht nur mit uns, auch im Vergleich mit seiner Generation. Er fällt ihm leicht, mit anderen zu sein, er hat sich schnell an uns angepasst. Es ist nicht einfach, in eine Gruppe einzutreten, vor allem in eine Gruppe, die seit Jahrzehnten fest verbunden ist, wie unsere. Auf künstlerischer Ebene gab es keine besonderen Schwierigkeiten, hinsichtlich der Integration hat er sich sehr schnell wohl gefühlt...

Abgesehen von den braunen Schuhen!

Die braunen Schuhe von Nanterre! (Gelächter)

Sprechen wir ein wenig über die Entstehung der Gruppe. Wie sind die musikalischen Wurzeln des einzelnen? Gab es in euren Familien eine Gesangstradition, eine musikalische Tradition? Oder seid ihr später zum Gesang gekommen, durch die Schule oder beim Eintritt in die Gruppe?

Das ist bei den einzelnen sehr unterschiedlich. Es gibt welche, die kommen aus Familien mit Gesangstradition: Jean-Lucs Vater, der Hirte in der Marzulinu ist, singt sehr gut, er hat eine natürliche Stimme wie er, von Anfang an war er dort drin.
Die anderen nicht. Es gibt verschiedene Einflüsse, einige kamen zum Gesang während der Schulzeit durch die Polyphonie selbst, andere machten Musik. Das war sehr unterschiedlich. Paul begann mit uns zu singen, als wir zusammen in der Schule waren. Er sagt immer, in der ersten Zeit hätte er diesen Gesang überhaupt nicht gemocht...

Paul: Wenn ich eine Platte mit Polyphonie hörte, zappte ich. Es geschah ganz zufällig, ich hörte sie in meinem Sessel und irgendwann hat Jean-Claude zu mir gesagt: „Möchtest du nicht versuchen zu singen?“

Und du hast es versucht ...

Jean-Luc: Er konnte seinen Mund nicht halten! (lacht)

Paul: Er hat es mir vorgeschlagen und ich habe mich angestrengt.

Du hast vorher überhaupt nicht gesungen?

Paul: Nein, ich sang mal so, ich mochte gern Musik, aber das ist alles.

JC: Wir waren zusammen in der Schule. Es war eine Zeit, wo jeder anfing zu singen. Es gibt viele Leute, die singen gelernt haben; sie sind nicht alle Sänger geworden. Aber wir waren in der Pause, man sang, jeder versuchte es zu lernen. Wir waren bei der Arbeit, und er war da; ich habe ihm gesagt, „willst du nicht etwas tun? Versuch es!“ Damals war er begeistert von Polnareff, aber die Polyphonie war seine Sache nicht. Und danach, nachdem er einmal angefangen hatte, war er es, der hartnäckig war. Am Ende jedes Kurses suchte er uns, um zu proben.

Damit kommen wir zu einer anderen Frage: Wie ist euer Musikgeschmack abgesehen von Polyphonie?

Paul : Mike Brant, Johnny Hallyday.

JC: Er ist sehr unterschiedlich. Die Einflüsse sind vielfältig. Es gibt welche, die Vokalmusik mögen, Klassik, elektronische Musik, die so genannte urbane Musik. Wir haben wahrscheinlich nicht die gleichen Platten.

Paul: Es ist mir passiert, dass ich Zuhörer schlecht gemacht habe, die mir sagten: „Wir hören nur Polyphonie“. Ich habe sie angeschaut und gesagt „Nun ja, ich bedauere Sie!“

Bei den Rencontres treffen sehr unterschiedliche Musikrichtungen aus der ganzen Welt aufeinander.

Das Interessante ist, dass trotz unterschiedlicher musikalischer Wurzeln, verschiedener musikalischer Neigungen, man sich dort wieder findet, wo man ist. Ich sehe, dass darüber hinaus, was man macht und wie man es macht, es am Ende eines Konzerts, auch ohne darüber gesprochen zu haben, selten unterschiedliche Meinungen zu dem gibt, was man gehört hat. Obwohl a priori der Geschmack sehr unterschiedlich sein kann, gibt es Sachen, die uns alle ansprechen; man ist sich oft ziemlich einig.

Die gleiche Geschmacksfamilie, eine gleiche Sensibilität?

Nun, eine gleiche Sensibilität, das ist wichtig, weil es sonst künstlerische Sachen gäbe, die nicht funktionieren. In der Gruppe gab es viele andere Sänger, die dabei waren, die aber aus diesem Grund alle nicht geblieben sind. Es gab Leute, die sangen ausgezeichnet. Maxime Merlandi, der mit Rassegna und Barbara Furtuna singt, ist sehr gut, aber er konnte nicht in der Gruppe bleiben. Es ist ganz und gar nicht die Gruppe, die ihn zur Seite gedrängt hat, ich glaube, er hatte es schwer, seinen Platz zu finden, obwohl er ein super Interpret war.
Es war dasselbe mit Stéphane Casalta oder mit Feli. Man kann nicht sagen, dass es so ist, weil sie starke musikalische Persönlichkeiten sind; in der Gruppe gibt es solche. Das ist nicht das Problem, sondern in Osmose mit den anderen zu funktionieren. Es gibt Leute, die das nicht können; das zeigt sich auch an dem Verhalten außerhalb der Bühne. Bei uns ist das gleichermaßen fantastisch und schwer, weil wir ein Verhalten haben, einen Herdentrieb, der manchmal schwierig zu handhaben ist, da eine Erstickungsgefahr besteht, aber ich denke, das lässt es andauern, und vor allem haben wir ein künstlerisches Projekt, das mir kohärent erscheint...

Das ihr vorantreibt....

Durch das wir auf dem Weg vorankommen… 

Man spürt wirklich das, was du auf der DVD von Don Kent sagst. Übrigens haben viele Leute A Filetta dank dieser DVD entdeckt.

pascale


Es ist Tatsache, dass – deswegen war diese DVD auch wichtig für uns – wir bis dahin nicht unbedingt die Gelegenheit hatten zu sprechen, wie mit euch oder wie mit Don Kent, als er diese Aufnahme gemacht hat. Wenn man eine Sendung macht, kann man nur sehr schnell etwas erwähnen, und ich sagte es vor kurzem zu Vincent Zanetti, denn wir haben fast eine Stunde über unsere Arbeit gesprochen, dass es gut ist, Interviews so zu machen. Ich hatte dabei wirklich das Gefühl, Dinge über uns zu entdecken, während man drei Viertel der Zeit Menschen gegenüber steht, die zwar nicht uninteressiert sind, doch oft keine Zeit oder nicht den nötigen Abstand haben. Ich glaube, es war gut für diese DVD, dass Don Kent ihr Zeit gewidmet hat, fast zwei Jahre, und viel Einsatz: Er ist wiedergekommen, um uns sieben- oder achtmal an sehr unterschiedlichen Orten zu filmen, und er ließ Abstand zwischen seinem Kommen: zwischen den einzelnen Terminen überprüfte er, was er gefilmt hat, und außerdem hat er allen das Wort erteilt; auch das ist eine Qualität...

Man spürt viel von euren Beziehungen, was zwischen euch geschieht; das ist das Bewegende an diesem Film. Es wurde von Familie gesprochen, es ist genau das, es geht weit über das Singen hinaus. Und was ihr auf der Bühne gebt, das spürt man auch in euren Worten auf der DVD.
Seit etwa fünfzehn Jahren gewinnen die Neukompositionen immer mehr an Bedeutung. Bist du der einzige in der Gruppe, der komponiert?


Der für die Gruppe schreibt, komponiert, ja, aber ich bin sicher, dass einige unter ihnen sind, die das auch könnten. Die Dinge sind so strukturiert, weil ich ganz jung anfing Lieder zu schreiben, und später habe ich weitergemacht. Aber ich weiß, dass José beispielsweise Chansons geschrieben hat, als wir ein Album für Kinder machten. Er kann Lieder schreiben. Ich denke, dass auch andere aus der Gruppe das tun könnten. Sie machen es nicht, genauso wie sie wenig sprechen, weil ich spreche und das einfacher ist. Ich will auch keine Rede darüber halten, dass jeder alles machen kann; vielleicht gibt es Leute, die keine Inspiration haben, das weiß ich nicht. Aber ich bin überzeugt, dass es unter ihnen welche gibt, die schreiben können.
 

Die Komposition, das Schreiben

Wie verläuft das Schreiben? Was ist der Ausgangspunkt? Was uns erstaunt ist die Komplexität der Schrift; es gibt großartige Melodien, aber vor allem sehr starke Harmonien. Es erscheint nicht selbstverständlich direkt die Harmonien zu komponieren. Kannst du uns sagen, in welcher Reihenfolge dies geschieht? Man hat den Eindruck, dass es Momente in den Stücken gibt, wo die Harmonien so stark sind, dass man nicht weiß, wie man das komponieren kann. Ist es ein schrittweises Hinzufügen oder hast du sie von Anfang an im Kopf?

In der Tat muß man es so verstehen, dass es kein monolithischer Block ist; es gibt keine eindeutige Vorgehensweise. Ich sagte zu Vincent Zanetti, dass Medea für uns ein wichtiger Moment war, eine Art Meilenstein, ein Übergang sozusagen. Ich würde sagen vor Medea war alles orale Komposition; mit Medea begann etwas, das vollständiger ist, das mehr geschrieben, aber gleichzeitig nicht fixiert ist: Es gibt keinen besonderen Rhythmus, es gibt keine Partitur. Dann nach Medea gibt es andere, vor allem geschriebene Sachen, aber auch Dinge, die nach wie vor mündlich sind.

Also, wie funktioniert das? Manches ist sehr schnell geschrieben - wenn ich sage „geschrieben“, meine ich „gedacht“, und das sind Sachen, die sich auf diese Weise wenig ändern. Oder es gibt andere, die leben, die sich verändern. Dies war der Fall zum Beispiel bei Medea, wo es konstante harmonische Anteile gibt. Zuerst, im Verlauf des Wegs scheinen uns die Sachen unvollständig, unvollendet, es gibt Momente mit Lösungen, die uns zu offensichtlich erscheinen, im Verhältnis zu dem, was man dabei ist zu singen, nach und nach sind die Stücke zweifellos gelungener geworden, komplexer, es gab sukzessive Beiträge.

Schließlich gibt es auch eher praktische Sachen. Zum Beispiel ist Ceccè im vergangenen Jahr in die Gruppe gekommen und mußte mit dem Repertoire arbeiten; bei dem, was festgeschrieben ist, kein Problem, man gibt ihm eine Partitur, er wird es lernen. Sich das traditionelle Repertoire und die nicht allzu schwierigen Kompositionen zu merken, das geht, aber wie ist es mit Medea? Das ist kompliziert, er muss sich etwas merken, das nicht aufgeschrieben ist, man muß ihm einen Rahmen geben, in dem er sich sehr schnell einfügen kann. Daher habe ich für Medea, praktisch für das ganze Lied, eine siebte Stimme geschrieben.

Wenn ihr die ersten Versuche mit dem macht, was geschrieben ist, bringt jeder seine Ideen dazu ein, wie man es machen sollte?

Das ist schwierig. In der Vergangenheit gab es Sachen, die man weiterbringen, die man bereichern konnte. Oft kamen sie von Jean Antonelli, weil er ein Gitarrist war, der einen Zugang zur Harmonik hatte, aber ansonsten ist es schwierig für einen Sänger, der es nicht hat - ich sage nicht, eine Kenntnis der Harmonie, denn ich habe keine - aber eine Annäherung an die Harmonie, das ist schwierig ...

Es kann nichts Spontanes geben?

Das ist noch komplizierter; das kann es geben, aber selten. Wenn man ein Stück hat, das beginnt gefestigt zu werden, wie es anfänglich gedacht ist, dann es ist schwierig, dort etwas hinzuzufügen, ohne ihm eine andere Richtung zu geben.
Wir machen eine Kreation im Aghja mit Jazzmusikern, man gibt ihnen Sachen, sie werden sicher Vorschläge machen, die die Harmonien verändern, und es kann schwierig sein, wenn man bei einer Arbeit ist, wo jeder sagen kann „ich schlage vor, wir machen es so.“
Aber Achtung, ich spreche vom Schreiben. Wenn du all die Melismen nimmst, die zum Beispiel Jean Luc macht; er ist es, der es macht, es ist nicht aufgeschrieben. Sicher trägt jeder seinen Teil dazu bei, zum Beispiel die Bass-Stimmen, sie werden irgendwann sagen: „wir machen das Timbre natürlich so, man sagt: ja, das ist gut so, wir machen das so, du hast Recht, man entwickelt dieses und jenes.“ Aber die Noten, die dort sind, die sind was sie sind.

Nun, das war am Anfang so, als ihr noch etwas in der Lehre mit euren Stimmen wart, aber jetzt kennst du sie alle...

Natürlich, das ist so, und auch die Tatsache, dass wir zu einer komplexeren Musik übergegangen sind, die mehr ausgearbeitet ist. Ich habe mich bei einigen Sachen weiterentwickelt, und nicht jeder hat unbedingt das gleiche Entwicklungstempo; das ist nicht vermessen, wenn ich das sage. Es ist schwierig, wenn du mit etwas kommst, zu sagen: „ich sehe das anders“, oder du bist dir bewusst, was vorgeschlagen wurde und kannst tatsächlich Sachen finden, die funktionieren. Ich bin gut vorangekommen, weil ich viel mit den Kompositionen von Bruno gearbeitet habe. Es ist wahrscheinlich, dass die anderen, wenn sie diese Arbeit gemacht hätten, es auch tun könnten. Ich habe bei der Arbeit mit Bruno viel gelernt, ich war ein bisschen die Schnittstelle, und dadurch sind mir gewisse Dinge sicherlich selbstverständlicher.

Du sagst, dass du die Harmonien nicht kennst, aber wenn man ein Lied hört wie Rex, wo es besonders in der zweiten Hälfte keine Melodie gibt, ist das nicht einzig und allein auf Harmonien begründet?

Ja, wenn ich sage, dass ich nichts von Harmonik verstehe, bedeutet das: die Harmonielehre, die man am Konservatorium studiert, die Regeln für das Komponieren...

Du schreibst sie nicht, du machst sie nach Gefühl?

Ich fühle sie, ich schreibe sie vermutlich mit orthographischen Harmoniefehlern!

Aber du fühlst sie zuerst? Ist das nicht umso besser? Läßt dir das nicht mehr Freiheit?

Ich weiß nichts darüber. Was mich bei dieser Annäherung an die Dinge stört, und ich hatte häufig Diskussionen mit Bruno oder mit Jean-Michel Gianella darüber, sind die Leute, die das Schreiben beherrschen, und wenn ich ihnen sage, dass ich eine Ausbildung machen möchte, sagen sie „nein, tu das bloß nicht, bilde dich nicht aus.“ Sie haben vielleicht Recht, vielleicht mache ich Dinge, die derzeit in der klassischen Harmonik verboten sind und die ich nicht mehr tun würde, wenn ich eine akademische Ausbildung hätte, das ist klar, aber gleichzeitig ist es sehr frustrierend für mich, an einem bestimmten Zeitpunkt, Dinge zu tun und nicht sicher zu sein, sie bewältigen zu können.

Du denkst, die Technik nicht zu kennen, schränkt das ein, was du tun könntest?

Ich weiß nicht, ob es mich einschränkt.

Ich meinte „begrenzen“ im Sinne von „wagen“. Wenn du in einem Kompositionsrahmen bist, zwingst du dich in den Normen zu bleiben, und du musst etwas die Idee aufgeben, Dinge auszuprobieren. Es kann sein, dass du Sachen versuchst, die du dir verbieten würdest, wenn du die Regeln kennen würdest.

Kann sein, aber es ist schwierig. Wenn wir als Gruppe zusammen sind, genießen wir es. Aber bei unserer Entwicklung, werden wir zum Beispiel morgen mit Jazzmusikern arbeiten.
Wir als Ganzes, haben kein Problem uns zu verständigen; wir haben keine Ausbildung in Harmonik, wir sind einig beim Klang, dabei, wie er sein soll, man muss mit kleinen Einstellungen operieren, aber wir haben kein Verständigungsproblem zwischen uns.
Falls wir morgen mit einem Streichquartett arbeiten, haben wir ein Problem, weil der Typ aus dem Quartett uns sagen wird: „warten Sie, das hier verstehe ich nicht“. Das, was geschrieben ist, ich will nicht sagen, dass es nicht richtig ist, nicht möglich ist, aber es ist nicht ordnungsgemäß, und manchmal ist es schlecht geschrieben, nicht gut formuliert. Aus diesem Grund ist es für mich frustrierend.
Beispielsweise bin ich seit wir mit Bruno arbeiten von klassischer Musik begeistert, ich habe Stücke für Orchester bearbeitet. Chjarura von Si di mè ist eine Orchester-Partitur, die ich geschrieben habe, aber ich habe sie niemand gezeigt außer Bruno. Und Bruno hat mir gesagt, „wir nehmen das, kürzen das, das wird ein großartiger Song“. Und wir haben es so gemacht. Aber das ging nur, weil Bruno es sich angeschaut hat, es mitgenommen hat und in Sofia hat aufnehmen lassen. Wenn ich morgen mit klassischen Musikern diskutieren würde, hätte ich Angst, nicht glaubwürdig zu sein.

Du hast Angst, nicht legitimiert zu sein, obwohl du doch all das vorzeigen kannst, was du gemacht hast?


Das genügt nicht.

Du hast viel gelernt durch das Zusammentreffen mit Menschen, die die offizielle Lehrmeinung innehaben, aber auch sie könnten viel von dir lernen.

Ja, das ist das Gute an einer Beziehung wie mit Bruno. Ich sage nicht, dass er etwas von uns gelernt hat, aber er sagt, er sieht die Dinge manchmal anders; wir haben ein wenig seine Art Musik wahrzunehmen verändert. Es ist gut für die zwischenmenschliche Beziehung, wenn man ein Vertrauensverhältnis zu den Musikern aufbaut, aber wenn ich mich morgen vor ein Orchester von 50 Musikern stelle, ertrage ich diesen Schock nicht.

Ich verstehe nicht, dass du so radikal in dieser Behauptung bist, weil du doch konkrete Sachen vorzeigen kannst...

So funktioniert das nicht! Es gibt viele Festivals, die uns ins Programm nehmen könnten und die es nicht tun, weil wir nicht klassisch sind, weil wir keine Ausbildung darin haben. Dennoch bin ich überzeugt, dass es Dinge gibt, die sich in ein Festival klassischer Musik einfügen könnten. Nur hat ein ein solches Festival nichts anderes im Programm als klassische Musik, Leute, die mit dieser Art Repertoire arbeiten...

Ihr öffnet völlig die Türen, die Wege zwischen den Genres...


Das Problem ist, dass dies bei einem Teil des Publikums funktioniert, aber nicht bei allen. Es gibt Leute, die auf der Suche nach etwas Unveränderlichem sind, die nicht unbedingt unser Vorgehen verstehen. Es ist mir passiert, dass ein Komponist aus Nizza gesagt hat, „ich verstehe nicht, warum du fünf Stimmen für Medea geschrieben hast; mit drei Stimmen sagt man genügend aus“.

Das sind keine Musiker, das sind Ayatollahs!


In den Orchestern, gibt es sie, die Ayatollahs!

Paul: Und auch auf Korsika!

JC: Im Übrigen stellt die Frage Bruno. Das ist ein fortwährendes Kräftemessen.

Das erinnert an die „Orchesterprobe“!

Deshalb stellt uns das vor Probleme. Als wir „la Grammaire“ mit Musikern gespielt haben, habe ich alle Instrumentalteile geschrieben - das hat funktioniert, weil es Musiker sind, die wir kennen. Wenn Schwierigkeiten auftreten, sagen sie „ Willst du uns verarschen? Wenn du ein Es oder ein Dis schreibst, das ist das gleiche! », aber es gibt Musiker, die sagen würden: „Warten Sie, dieses hier ist ein Problem; was ist damit gemeint?“ Aber ich kann ihm nicht sagen, was ich tun möchte, ich habe es so geschrieben, ich kann ihm nicht sagen:“ Weil ich an dieser Stelle des Stückes einen Akkord gibt, diese Basslinie, rechtfertigt das diese Note“. Um noch einmal auf das zurückzukommen, was du über die Harmonie gesagt hast, ich komponiere nur für uns und für Leute, die uns nahe stehen, ansonsten würde ich es nicht wagen, eine Komposition für einen Chor zu machen.

Wie erfolgte der Schritt in die Dissonanz?

Das hängt mit vielem zusammen; was ich höre, was mir gefällt, was ich von Brunos Sachen sehen konnte, was ich an verschiedenen Orten gehört habe. Es kann sein, wenn du Faiz Ali Faiz oder die Sinfonien von Mahler hörst, da gibt es Sachen, die, ich will nicht sagen entnommen sind, aber die, scheint mir, an sehr unterschiedlichen Orten, aus sehr unterschiedlichen Gründen, in verschiedenen Gegenden, etc. zu hören sind.

Um das Thema Schreiben zu beenden: Du hast zahlreiche Texte verfasst; denkst du nicht daran, sie zu veröffentlichen?


Es ist lange her, dass ich geschrieben habe, seit 1983/84, das sind mehr als 20 Jahre, und ich habe nie etwas veröffentlicht. Jetzt empfinde ich das Bedürfnis dazu, nicht nur um die Texte zu veröffentlichen, da ich sie ja nutze, sie singe, sondern weil es irgendwann nötig ist, glaube ich, sich ihrer zu entledigen, um zu etwas anderem überzugehen. Es stellt sich uns übrigens das gleiche Problem auf der musikalischen Ebene: wir haben ein Repertoire, das an seine Grenzen stößt, wir haben nicht die Zeit, es aufzunehmen, und wir produzieren nur weiter, weil wir Anfragen haben. La Grammaire habe ich gemacht, weil Orlando mich gebeten hat. Wir arbeiten häufig in Eile. Das Requiem… ich wäre nie auf die Idee gekommen zu sagen: „Ich beginne jetzt ein Requiem“. Ich habe angefangen, Sachen zu schreiben, aber niemals mit der Idee, ein Requiem zu machen.

Zum Beispiel die Prediger, die hattest du vorher geschrieben, nicht?


Der Prediger und Meditate wurden vorher geschrieben für Passionsaufführungen in Calvi, und ich habe sie für das Requiem wieder verwendet.

Und auch Figliolu d'ella, kann das sein?

Und Figliolu d'ella, ja, das nur für zwei Stimmen geschrieben war für die Passion in Calvi.

Ja, und für Frauenstimmen.


Und als wir mit der Arbeit an dem Requiem begannen, habe ich Figliolu d'ella wieder aufgegriffen, weil das Thema, das Lied mir interessant erschien, es weiter zu entwickeln, und vor allem, was das Lied aussagt: das Thema „Figliolu d'ella, sì figliolu di meiu“ schien mir wichtig, erschien mir das beste zu sein, das man sagt, wenn jemand weggeht. Es gab also diese drei aus früheren Sachen entnommenen Lieder. Aber um auf das zurückzukommen, was ich sagte, wenn nicht der Auftrag von Jean-Pierre Le Pavec gewesen wäre, hätte es niemals ein Requiem gegeben. Und hätte es keine Anfrage von Jean-Yves Lazennec gegeben, würde es Medea nicht geben.

Aber es ist sehr frustrierend für uns, denn es gibt Juwele, die erscheinen, und doch gibt es welche, die überhaupt nicht herauskommen!

Es gibt einige, die nicht herauskommen werden!

Aber, die man einmal gehört hat, möchte man wieder hören können!
Moment, eine Frage, die die ich eigentlich später stellen wollte: im Finale, in dem ihr gesungen habt, gab es ein georgisches Lied...

Ja, Allilo.

Ein Auszug aus dem Requiem?

Nein, aus Marco Polo. Es gab zwei Auszüge aus Marco Polo.

Habt ihr das erste schon in einem Konzert gesungen?


Ja, in Nanterre, da haben wir es verpatzt!

Aber dort war es nicht verpatzt! Übrigens, wer hätte Marco Polo an Stelle von Guillaume Depardieu gespielt?

Wenn es in Nizza stattgefundet hatte ? Daniel Mesguich.

Die Arbeit des Singens
Eine Frage, auf die jeder für sich antworten kann, da es um den individuellen Gesang geht. Wie verläuft eure individuelle Arbeit? Wie geschieht die allmähliche Platzierung eurer Stimme, wie entwickelt sie sich innerhalb der Gruppe weiter, das Timbre... Hört man die DVD von Don Kent, erfährt man beispielsweise, dass Bruno Coulais euch viel mehr in die Höhen oder in die Tiefen gehen ließ, demnach entwickelt sich das ständig weiter. Wie sieht das jeder von euch, wie arbeitet man daran?

Jean-Luc: Wenn wir mit einer Partitur arbeiten, hat jeder seinen Part, mit dem man zu Hause arbeitet. Es gibt keine besondere Arbeitsmethode, man hat eine Stimme, die man lernen muss, und es sind die Kompositionen, die weiterführen. Wenn wir etwas mit Bruno machen, lässt er jedes Mal die Bässe ein wenig mehr steigen, er lässt die Höhen in die Tiefe gehen und umgekehrt, wodurch man sich weiterentwickelt.

Max: Die besondere Methode ist, mit dem Computer zu arbeiten.

Jean-Luc: Für die von Bruno geschrieben Partituren (und Si di Mè, nicht Medea oder die traditionellen Lieder) haben wir ein Programm, das die Partitur liest, die 7 Stimmen. Wir können 6 Stimmen als Piano und die 7., unsere Stimme, als Posaune am Computer spielen, du kannst deine Stimme hören, du kannst sogar die anderen Stimmen wegschneiden und nur Deine Stimme lassen, das Tempo verlangsamen, es beschleunigen; es ermöglicht, präzise mit deiner Stimme zu Hause zu arbeiten. Wenn wir mit einer Filmmusik von Bruno beschäftigt sind, arbeitet man 3 oder 4 Tage zu Hause, wir singen unsere Stimme vom Blatt, und wenn man sie genügend kennt, treffen wir uns gemeinsam und versuchen, alle Stimmen zusammen zum Funktionieren zu bringen, die man individuell erlernt hat. So ist es bei den Partituren.


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A Filetta en répétition, 21/08/2005 (photo : Jean-Jacques Filippi)


Und wenn es nicht geschrieben ist?

Wir tasten uns heran! Man arbeitet zusammen.

Zeichnet ihr eure Proben auf?


Nicht genug ...

Also fangt ihr jedes Mal wieder fast bei Null an?


Es ist im Gedächtnis.

Alle diese Lieder, die ihr erlernt habt, erschlägt das nicht ein bisschen?


Jean-Luc: Im Gegenteil, dadurch wird die Erinnerung aufrechterhalten. Je mehr du davon lernst, umso mehr kannst du behalten.

JC: Selbst die, die man auf dem Computer gespeichert hat, lernt man auswendig. Als wir Marco Polo mit Bruno gemacht haben, waren wir dazu gezwungen. Das ist nicht unbedingt der Fall bei anderen Musikern, die mit Bruno arbeiten, sie haben ihre Partitur, und es ist schrecklich, wenn du feststellst, dass du dich plötzlich nicht mehr erinnerst. Sie spielen, aber sie sind im Tran. Es kann vorkommen, dass sie sich irren, aber sie spielen unermüdlich weiter. Wir, an der Grenze mit unserer Art zu arbeiten, würden versuchen zu wiederholen, sie selbst nicht.

Das bedeutet, dass sie nicht hören, was sie spielen?

Genau, so ist die Art, wie man sie ausbildet.

Das ist Mechanik!


Man bildet sie aus, zur Stelle zu sein und zu spielen. Oft kommen die Probleme daher, dass es keinen Chef gibt, der ihnen ein Startzeichen gibt. Dann wissen sie es nicht, sie zählen nicht. Als wir Himalaja gemacht haben, zählten wir 27 Takte vor dem Wiederbeginn von Le Lac. Wenn du das zu einem Musiker sagst, lacht er! 27 Takte, das ist verrückt. Er sagt, wartet, wir geben euch ein Zeichen! Der Musiker ist da, er wartet, Schlag, und er spielt seine Partie.

Aber sie hören nicht?


J.C.: Es ist so. Aber, das Problem ist nicht, dass sie keine guten Musiker sind, sondern dass man sie ausgebildet hat, so zu spielen. Man verlangt von ihnen, eine Partitur zu interpretieren, man verlangt nicht, zu hören, was vom Notenständer nebenan kommt. Nun, bei uns ist es genau umgekehrt. Deshalb gibt es viele Musiker, die innerhalb eines Orchesters nicht auf ihre Kosten kommen. Es gibt viele Leute in den Orchestern, die unglücklich sind.

Die Emotion
Das führt uns zur nächsten Frage, eine, die ständig von den Zuhörern kommt aber auch in den Interviews: die Emotionen, die man beim hören eurer Lieder empfindet. Es passiert etwas Besonderes. Könnt ihr das nachfühlen? Wie erklärt ihr es?

Wir sprachen darüber mit Vincent Zanetti. Es gab oft Leute, die am Ende der Veranstaltung zu uns gekommen sind, Menschen, die derartig gerührt waren, dass sie nicht sprechen konnten. Wir haben keine Erklärung, aber ich habe eine Idee dazu, die vielleicht nichts wert ist. Ich glaube, es ist nicht die Ästhetik, die Harmonien oder der Aufbau, was sie bewegt. Was sie umwirft, glaube ich, - und deshalb ist die Verbindung gut im Verhältnis zur Funktion - ist dieser aus verschiedenen Individuen zusammengesetzter Körper, von denen jedes seine Persönlichkeit hat und denen es gelingt eine Einheit zu bilden. Ich würde es so ausdrücken: unsere moderne Gesellschaft ist in ihrer Produktion, ihrer Organisation, total pyramidenförmig, individuell und in Abgrenzung der Zuständigkeiten konzipiert. Für alles, und man sieht es, wenn eine Katastrophe passiert, versucht man sofort eine Kette der Verantwortlichkeiten zu schaffen, weil es so organisiert ist. Man sagt: "Soundso macht das, er macht nur das; er hat gut gemacht, was er tun sollte".

Wir, als Ganzes, können so nicht agieren. Wir sind ein Gebilde, das nur funktioniert, wenn alle dazu beitragen, und sich des ganzen Körpers annehmen. Es ist ein wahres Kollektiv, das eine Art Kokon bildet, und ich glaube, wir vermitteln dieses Bild an die Leute, die es von Natur aus brauchen. Ich möchte nicht den Philosophen herauskehren, aber ich denke, dass der Mensch im Naturzustand es nötig hat, zu wissen, dass er Teil eines Ganzen ist, sich eingliedert in einen Gesamtkomplex, und dass er gleichzeitig Akteur seiner eigenen Rolle und auch Akteur eines Teils der Rolle der anderen ist. Und dieses System funktioniert nur in dem Maße, wie man sich der Gemeinschaft hingibt, wobei jeder seine Persönlichkeit bewahrt. Es ist ein Kollektiv, das sich durch Hingabe an alle bereichert, aber von niemandem verlangt, seine Persönlichkeit aufzugeben.

Und ich glaube, es verblüfft die Leute, wenn sie zum Beispiel die Chöre von Medea hören; sie fragen sich, "wie können sie gemeinsam Sachen singen, die nicht dirigiert werden; sie geben keine Zeichen, wer macht was, wer kommandiert wen? ", und darauf gibt es keine Antwort.
Und übrigens, wie ich es oft sehe, haben häufig die modernen Individuen, die wir sind, Probleme mit der Gemeinschaft, mit der Gruppe. Jedes Mal, wenn jemand hierher kommt, ein Fernsehteam, Journalisten, Vertreter von Institutionen usw., fragen sie, wer der Verantwortliche ist. Das ist ein Problem. Unsere Musik ist genau das Gegenteil davon. Und sie existiert in einem natürlichen Zustand, weil wir ihn brauchen. Ich glaube nicht, dass man geschaffen ist, nur um seine Rolle zu spielen und nicht nach den anderen zu schauen und vor allem zu sagen: "Ich tue, was ich zu tun habe, wie die anderen es auch machen." Wir können so nicht funktionieren.

Du hast Recht, darauf hinzuweisen, weil ein großer Teil des Gefühls, daher kommt. Der fusionelle Eindruck, den ihr vermittelt, ist bewegend. Aber es genügt nicht, um die Emotion zu erklären. Man ist gerührt, weil es schön ist, was ihr macht. Das ist untrennbar miteinander verbunden.

Ich denke, es ist schön, weil es fusionell ist. Das ist nicht schön, weil es das grundsätzlich ist. Wir haben auch Sachen gemacht, die nicht schön sind!

Wir sprachen eben über Harmonie; es ist wahr, dass es Momente in eurer Musik gibt, die so geschrieben sind, dass sie berühren. Dann gibt es diese fusionelle Seite, die einen Körper entstehen läßt, eine Interpretation, weil ihr zusammen seid und ungeheuer viel gebt.

Weißt du, man müsste einen Test machen. Man sollte einen klassischen Chor nehmen und ihn eines unserer Lieder singen lassen. Es wäre interessant zu sehen, wie die Leute darauf reagieren.

Was den Unterschied macht, ist das Gefühl, die persönliche Seite. Ihr berührt euch, man spürt eine Freundschaft zwischen euch.

Auf jeden Fall, deswegen bin ich der Meinung, dass es davon kommt, und nicht dadurch, was man singt.

Das ist der Ausgangspunkt. Aber was ihr singt ist wichtig!


Ich sage nicht, dass es nicht wichtig ist. Was ich sagen möchte ist, dass du es magst oder nicht magst; du hängst daran oder nicht. Wenn ich klassische Musik höre, ziehe ich die Symphonien von Mahler denen von Beethoven vor.

Françoise: Es gibt eine Alchimie: es ist physisch und zwischenmenschlich. Du könntest sagen, dass wir ein Volk von schrägen Vögeln sind, verrückt nach A Filetta, aber wenn du neben dir Leute siehst, die du nicht kennst, die zu Tränen gerührt sind...

Pierre: Das erste Mal, als ich euch hörte, ging es mir genauso; das war 1993, es war nicht das gleiche Repertoire.

Ich hatte die gleiche Art von Gefühl, als ich die Georgier zum ersten Mal singen hörte. Ich denke, es ist genauso, weil wir den Georgiern so ähnlich sind. Über den Aspekt der Polyphonie hinaus gibt es Ähnlichkeiten auf dem Gebiet der Harmonie, im Verhältnis untereinander und im Verhältnis zum Publikum.

Und deswegen lieben wir es, euch zu sehen, diesen direkten Kontakt mit dem, was ihr seid. Es ist ein Strom, der durch die Poren fließt.


Noch einmal: darüber hinaus, dass man Sachen über unsere Ästhetik sagt, gibt es die Tatsache, dass wir wie ein Körper sind, mit allem, was dieser an Fragilität, Unausgeglichenheit, Lebendigkeit, Spannung hat.

Also man hat dabei nicht das Gefühl, dass man einen klassischen Chor sieht.

Einen Sinn geben
Das führt noch zu der Frage: was willst du sagen, wenn du von Sinn sprichst, von der Suche nach Sinn, aber nicht einem Sinn?

Ja, wenn ich sage, Sinn und nicht einen Sinn, meine ich, dass man zu oft einen Sinn in den Dingen sucht, das heißt, dass man auf der Suche nach einem Sinn ist, indem man sich eine Richtung gibt, man plant und sagt "dorthin geht man", und meiner Meinung nach kann das so nicht funktionieren. Wir haben nie gesagt: "wir werden dieses oder jenes tun, wir haben dieses Projekt, wir werden an diesen Ort gehen... " Das, was man macht, das kann man nicht planen, das geschieht durch Begegnungen.

Es gibt keine Strategie.

Natürlich, es gibt Begegnungen, die uns geformt, verändert, verwandelt, die im Laufe dieser Treffen jedes mal ein neues Profil bewirkt haben. Das ist meiner Meinung nach die Definition von Identität, die nur Sinn hat, wenn sie in ständigem Ausbau ist. Was sonst ist Identität, als das, was du jetzt bist, und in zwei Stunden wirst du es durch den Einfluß verschiedener Dinge nicht mehr sein. Daher ist es eine Illusion zu sagen, dass ich auf der Tradition kampiere. Das ist etwas, das mich stört in den Reden zur Verteidigung der Identität, das meines Erachtens nicht standhält. Es widerspricht jeder Vorstellung von Leben. Und wenn ich sage, "Sinn", bedeutet das auch - wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass wir nicht nur eine Gruppe bestehend aus Individuen sind, sondern dass auch jeder von uns vielfältig ist - dem Sinn zu geben, was man tut. Es bedeutet, von niemandem zu erwarten, mehr als er selbst zu sein, und es zu bleiben, was im Leben nicht immer möglich ist. Deshalb sage ich "es muß Sinn geben und nicht nur einen Sinn", und das ist der Grund, aus dem unsere Musik vielfältig ist, und das ist es, was sie für euch anerkennenswert macht.

Ich will nicht sagen "ich werde nur Dinge tun, die in Verbindung zu dem stehen, wie ich zu einem bestimmten Zeitpunkt war“. Auf jeden Fall, das was sie anhält, löst sie auf; an dem Tag, an dem man stehen bleibt, beginnt man abzufallen, und das gilt überall, auch in der Technik. An dem Tag, wo man aufhört anspruchsvoll zu sein, darunter zu gehen, beginnt man unweigerlich wieder abzusteigen, weil die Kräfte gegenteilig sind!


Die instrumentale Begleitung
Zum Schluß eine Zusatzfrage zu den Instrumenten, die ihr aufgegeben habt; ist das endgültig?

JC: Wir hatten diese Diskussion zur Frage der Instrumente bei den Rencontres. Mein Eindruck ist, dass Korsika, in jedem Fall die kulturelle korsische Bewegung seit Anfang der 70er Jahre, ein großes Problem mit Instrumenten hat. Das scheint mir offensichtlich. Es gab eine sehr starke mündliche Tradition, die Stimmen, eine Kenntnis der Stimmen, eine vokale Praxis, aber mit Abstand betrachtet, sehe ich nicht, welcher Gruppe seit Anfang der 70er Jahre etwas auf instrumentalem Gebiet gelungen ist. Ich behaupte kategorisch, erfolgreiche Leute sind häufig diejenigen, die mit der Identitätsbewegung gebrochen haben, sie sind in einer anderen Sparte. Es gibt hervorragende Musiker auf Korsika, aber man findet sie nicht in den Gruppen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass zuerst Canta u Populu Corsu einen Stil vorgegeben hat. Es ist derjenige von Jean-Paul Poletti, die Arpeggio-Gitarre, und jeder ist ihm auf dem Fuße gefolgt, auch wir, und das gibt kein instrumentales Gerüst, keinen technisch zusammenhängenden Gesang. Bei den Rencontres sprach ich mit Rassegna darüber; technisch ist man in der Lage, kein Problem. Ich sah Julia Sarr und den Gitarristen, man kann sie mögen oder nicht, aber die Gitarre hatte eine Bedeutung; wenn du korsische Gruppen hörst, gibt es eine Art instrumentalen Brei.

Man hat den Eindruck, dass die Instrumente, besonders die Gitarre, ständig wieder in das gleiche Schema zurückfallen...

Natürlich, darin stimmen wir überein, aber das ist so, weil erstens vielleicht die Verbindung mit den polyphonen Stimmen nicht so offenkundig ist, und zweitens, weil man immer für das Instrument getan hat, was man für die Stimme tun würde, ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass es eine Tradition für die Stimmen gab, nicht aber für die Instrumente, und dass man keine Instrumentalisten hat. Die wenigen Instrumentalisten sind Menschen, die an einem bestimmten Zeitpunkt angefangen haben, Gitarre zu spielen; man begleitet sich, aber das ist meiner Meinung nach unzureichend.
Von allen Leuten, die spielen, gibt es für mich - es ist vielleicht übertrieben, was ich sage - einen einzigen, der eine reelle Dimension im Hinblick auf die Begleitung hat, und das ist Jérôme Ciosi. Er ist ein wahrer Gitarrist; er hat eine klassische Ausbildung und weiß, wovon er spricht.
Bei den anderen gibt es viele unbeholfene, schlecht konzipierte Sachen. Es gibt einige Dinge, die ich durch den Gesang verstanden habe. Zum Beispiel die arpeggierte Gitarre systematisch als Begleitung; du reduzierst die Einheit auf ihren kleinsten Wert! An einem bestimmten Zeitpunkt (es singt die Partie der Gitarre) fixiert das die Sachen, zunächst gibt es eine Orientierungshilfe ...
Um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen, irgendwann wurde uns bewusst, dass wir keine Instrumentalisten waren, uns in diesem Bereich nicht wohl fühlten, selbst wenn wir Sachen machen konnten, die von Interesse waren - ich sagte es zu Bruno Allary von Rassegna -, der mir erzählte "ich finde eure Platte Una Tarra ci Hè großartig, ich höre sie..."

Das ist auch unsere Meinung!

Zweifellos, aber wenn ich die instrumentalen Parts erneut höre, sage ich mir, dass es das nicht ist. Gut, der Gesang auch nicht (lacht). Im Nachhinein ist man nie zufrieden, mit dem, was man gemacht hat.

Es ist Teil einer Entwicklung.


Wir werden sicherlich etwas mit Instrumentierung machen, aber mit Musikern. Wir lehnen nur eine Instrumentierung der traditionellen Art ab: wenn man uns morgen Musiker geben würde, wie die syrischen vor 3 oder 4 Jahren, kein Problem, man kann mit ihnen etwas machen, auch in sehr unterschiedlichen Stilen, aber das mit den vorhandenen Mitteln zu bewerkstelligen, mit mir als Gitarrist, das ist nicht ausreichend; selbst wenn ich ein wenig klassische Gitarre spiele, bin ich kein Instrumentalist. Und es fehlte auch die Energie, um sich auf den Gesang zu konzentrieren, wenn man im Instrumentalen nicht zu Hause ist.

Die Projekte
Die letzte Frage, eure Projekte. Es gibt einige, von denen man etwas gehört hat, von anderen nichts. Es gibt die Kreation mit Paolo Fresu, den Zeichentrickfilm (Max and Co); ist daneben eine Neukomposition in der Art von Requiem oder Medea in Planung?

Es gibt viele Projekte. Es gibt den Auftrag von Aghja mit den Jazzmusikern, das ist eine Begegnung; es ist keine Neukomposition im eigentlichen Sinne, wir kommen mit Sachen hin, sie kommen mit ihren, wir werden versuchen, eine Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen, aber es wird keine Schöpfung aus dem Nichts; in 4 Tagen kann man nicht ein Repertoire von einer Stunde und fünfzehn Minuten produzieren, das ist nicht möglich.
Nach diesem Treffen mit Jazzmusikern, müssen wir nacheinander mit toskanischen Musikern, dem Orchester von Livorno und zwei sardischen Schauspielerinnen arbeiten, im Rahmen eines neuen Medea-Projektes. Zuletzt wird es unsere Medea sein, mit zwei Schauspielerinnen und einem Orchester. Bruno Coulais muß nicht nur für uns Sachen schreiben, sondern eine Interaktion zwischen der klassischen Musik und unseren Liedern herbeiführen. Dies soll vor dem Sommer 2007 sein; das ist sehr kurzfristig.

Gleich im Anschluß daran müssen wir eine Komposition Orlandos von Colomba bearbeiten, die im Theater von Bastia am 5. Mai stattfinden soll. Das heißt, Orlando will nicht von vornherein etwas vollkommen Fertiges: er sagt, dass es eine Überarbeitung wird, auch wenn er den Text von Mérimée nicht wieder verwenden will, aber er möchte einen mehr traditionellen Hintergrund, den man aktualisieren und umgestalten könnte, aber eigentlich keine Neuschöpfung.
Dann gibt es mit Orlando und Bruno das Werk einer neuen Oper für Kinder im Juni in Nizza mit dem Zirkus Grüss. Bruno muss die Partien für uns schreiben; er denkt daran, eine Menge Pferde zu verwenden.
Und es gibt auch das Projekt, über das ich mit euch an einem anderen Abend in Bastia gesprochen habe, mit dem Kulturzentrum Una Volta, eine Arbeit über die Altstadt von Bastia.

Und für 30 Jahre A Filetta?

Im Moment nichts, wir haben die Möglichkeit erwogen, eine große Veranstaltung in Paris zu machen, weil wir das nie getan haben, aber momentan ist nichts beschlossen, und wir wissen nicht, in welcher Form wir es machen sollten: es kann nicht Si di me sein, auch kein Requiem, man kann nicht ein wenig von allem machen; das ist schwierig.

Und die „Nachhol-CD"?

Es war geplant, La grammaire de l'imagination in diesem Jahr herauszubringen, aber wir mussten es auf Ende 2007 verschieben.

Keine DVD der Veranstaltung?

Nein, es ist zu schwierig. Ideal wäre es, eine wirkliche Animationsarbeit zu machen, aber das ist zu teuer. Wir versuchen, eine CD mit einem schönen Booklet zu machen. Oder ein Buch mit einer CD? Sicher ist, dass es die Idee gab, La Grammaire zweisprachig oder sogar dreisprachig zu machen, d.h. drei Versionen des Textes in italienisch, französisch und korsisch zu haben, weil wir dachten, dass es auch in pädagogischer Hinsicht sehr gut sein könnte, zu sehen, wie man von einer Sprache in die andere wechselt. Es ist in Planung.

Das Requiem?

Zu dem Requiem könnte man sagen, dass es gut wäre, es Ende 2007 aufzunehmen. Die Idee ist, sich Stück für Stück vorzunehmen, Lied für Lied zu erarbeiten, und es Ende 2007 fertig zu haben.

Und außerdem? Es gibt Lieder, die niemals aufgenommen wurden!

Das ganze Salve Regina, der ganze Via Crucis, das ist auch auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben!

Und In Memoriam?

Jean-Luc: Das ist beendet! Nein, es wird im Dezember 2007 in Belgien wiederholt. Das Theater von Monte-Carlo hatte die Exklusivrechte für zwei Jahre; falls Larbi es wieder aufnehmen will, kann er es ab Januar 2007 mit einem anderen Ballett machen.

Es war wunderbar!

Habt ihr es vollständig gesehen?

Nein, die kurze Version in Monaco im August ...

Die gesamte Aufführung ist sehr kohärent. Die Kurzversion ist auch stimmig, aber es gibt Verkürzungen.

Sollte das nicht als DVD erscheinen?


Nein, sie möchten einzelne Teile in der Presse veröffentlichen, aber ich glaube, Cherkaoui möchte nicht, dass es in Auszügen präsentiert wird, so verliert es seine Kraft, aber er hat etwas wunderbares geschrieben. Wir hoffen, wieder mit ihm zu arbeiten und er hat Lust, mit uns noch etwas zu machen.
Außerdem, als wir 2004 dort probten, arbeiteten wir in der Turnhalle mit den Tänzern, er ist selbst Tänzer, er kommt vom modernen Tanz, Hip-Hop, man sah, wie es sich entwickelte. Mit den klassischen Tänzern, sagte er, "ist es außergewöhnlich, ich kann klassische Sachen nutzen, die ich nicht machen könnte“ , dagegen wenn er mit den Klassischen tanzte, ist er ein Akrobat, wie eine Gummimensch, es war schwierig für sie; man könnte sagen, dass sie eckig waren, anders als er, seine Bewegungen waren rund, wie Tiere, die sich bei Berührung zu einer Kugel rollen!

Wie Raupen?

Ja, das ist es! Das ist beeindruckend; du hast den Eindruck, dass er völlig ausgerenkt ist!

F: Ich habe ihn in einem Ballett mit einem pakistanischen Choreografen gesehen, "Zéro degré", ein Duo, und irgendwann tanzt er auf dem Kopf, es ist unglaublich!


Also, es folgten alle Wiederholungen und am Ende, sagte er den Tänzern: "es ist gut, ihr könnt gehen", und zu uns sagte er: "bleibt ihr noch hier", und er fing an mit uns zu singen, er kannte alle Lieder auswendig, er sagte "singt mir dieses dort, zeigt mir die Terza ..."

In diesem Ballett sang er auch ein jiddisches Lied; er singt gut!

Ich weiß, dass er gut singt, er ist begnadet, wirklich beeindruckend.

Jean-Luc gibt das Startsignal. Uns bleibt nur noch Jean-Claude, Jean-Luc, Max, Ceccè, Paul und Jean herzlich für den Empfang und für dieses spannende Gespräch zu danken, das fast zwei Stunden dauerte und in einer herzlichen und entspannten Atmosphäre stattfand.